Das schlimm Schöne an so einem anstehenden Umzug ist ja, dass man das ganze alte Zeug mal wieder in die Hände bekommt, das man seit Jahren irgendwo in seinem Wohnraum irgendwie so versteckte, dass man es nicht immer wieder in die Hände bekommen würde. Gerade dann, wenn man, so wie wir hier gerade, vier riesige Abstellkammern mit allerhand Zeug vollmüllenstellen kann. Da kommt so einiges zum Vorschein. So wie heute mein oller Kumpel, der Atari ST 1040.
Als wir damals 1998, in Berlin Schöneberg wohnend, erfuhren, dass wir schwanger sind, war uns beiden der erste Reflex: „Wir müssen aus dieser Stadt weg!“ Jetzt und sofort. Also suchten wir uns was. Ebenso reflexartig natürlich dort, wo wir beide mal herkamen. Heimat und so. Wir fanden eine unfassbar geile Bude mit fünf Zimmern auf 120m². Mit Garten und Garage. Die Gasetagenheizung trieb uns später an die Grenze des Ruins, aber immerhin hatten wir diese ganze Etage eines alten Bauernhauses für uns ganz allein.
Wir kamen aus zwei Zimmern, eine Stube und das Schlafzimmer, in dem ein furchtbar geiles Hochbett stand, was alleine schon als Schlafzimmer gereicht hätte. Also baute ich darunter eine Installation für das ganze Musik-Zeug. Platten, Plattenspieler, Mixer, 1000 Watt-Anlage, von der im Sommer bei offenem Fenster der komplette Hinterhof etwas hatte. Sie liebten uns dafür!
Jetzt kamen wir hier also mit unserer kleinen Habe in fünf Zimmer und wussten erst gar nicht, womit wir diese alle füllen sollten. Mehr als Stube, Schlaf- und Kinderzimmer würden wir ja gar nicht brauchen. Brauchten wir ja vorher schließlich auch nicht. Also entschieden wir uns, für die von uns damals so wahrgenommene, totale Dekadenz und gönnten uns ein Esszimmer. Und ein Studio.
Alles, was bis dahin irgendwie mit Musik zu tun hatte, kam in dieses Studio. Platten, Plattenspieler, Mixer, die 1000 Watt-Anlage, die hier niemanden mehr störte, da die uralten Nachbarn unter uns halbtaub waren – mehr Nachbarn gab es dort nicht. Wir stellten noch die ganzen Bongos, Congas und Didgeridoos da mit rein, wir waren schließlich Hippies – da musste das so. Außerdem eine Matratze für etwaigen Besuch, von dem wir schon seit jeher immer sehr viel hatten. Dazu dann noch dieses ganze alte Synthie-Zeug, was sich in der Clique so über Jahre hinweg angesammelt hatte. Die TR 808, die TB 303, die 606, die 707, die MC 303, das Nordrack, den Crumar-String, das Rhodes, die Basststation, die damals frische Korg-Electribe, die alten Akai und E-MU-Sampler, ein paar Kilo Effektgeräte, einen Korg X3 als Midi-Taste, zwei Rack-Synthies und den Moog Prodigy. Das war alles, was wir damals so zusammengesammelt hatten, was mir gerade jetzt furchtbar viel Zeug erscheint, was es ja auch war. Wir füllten damit einen 25 m² großen Raum komplett aus. Aber um das alles irgendwie sinnvoll nutzen zu können, fehlten genau zwei Dinge: ein großes Mischpult und ein Rechner, der das alles irgendwie per Midi verbinden konnte. Also kauften ich einen.
Das Mischpult wurde ein 24 Kanal-Monster von Dynacord. Der hier. Es war das erste Pult, das die Puhdys sich für ihre Aufnahmen irgendwann etliche Jahre vorher mal im Westen kauften. Ihr Pult. Das Pult der Puhdys, das wir irgendwo gebraucht und tatsächlich bezahlbar irgendwo in Oberschöneweide kauften. Ich weiß heute noch genau wo, wenn ich daran vorbeifahre. Bei uns im Studio. Darüber lache ich heute noch. Damit konnten wir zumindest alles routen. Per Midi syncen allerdings ging trotz dessen nur über einen Rechner. Einen Rechner, den wir nicht hatten. Alle begannen damals wie blöde damit, sich diese PCs zu kaufen. Aber die waren furchtbar teuer und mit Midi war bei denen ohne wieder teure Zusätze auch nicht alles gold, wie ich las. Ich las aber immer wieder und öfter von einem Atari. Ein Atari nämlich hatte schon von vornherein einen Midi-Anschluss, der uns all diese alten Geräte mit den neueren syncen würde. Das war es, worum es ging. Also suchte ich nach einem.
Ich fand diesen in der Zweiten Hand. Ein Musiker, der an der Hans Eisler Hochschule für Musik Saxophon studierte, wollte ihn im Prenzlauer Berg loswerden. Also fuhr die Frau des Hauses mit mir dorthin. Ein verdammt sympathischer Tüp. Der Geruch von Gras in seiner Bude. Downbeats, Dub und sein Saxophon. Auch wenn ich die Kiste als völlig unbrauchbar empfunden hätte, hätte ich ihm dafür Geld gegeben. Weil er so war, wie er eben war. Hippie, durch und durch. So wie ich. Außerdem hörte ich mir Sachen an, die er damit gemacht hatte und war voll aus den Schuhen. Grandioses Zeug. Ich zahlte ihm 450 D-Mark und bekam sowohl eine Logic als auch eine Cubase Lizenz dazu. Beides alleine war damals schon Gold wert, denn P2P gab es noch nicht so wirklich.
Dann machten wir mit der Kiste Musik. Sie lief, irgendwie. Ich weiß heute nicht mehr, wie genau sie das tat, aber sie tat es. Dieses voll hässliche casegemodete, was aus ursprünglich zwei 1040ern zusammengelötet wurde, Ding machte sein Arbeit verdammt zuverlässig. Immer für viele Jahre fast 24/7. Anmachen, Cubase starten (wir entschieden uns damals gegen Logic), alles routen. Musik machen. Gras. Räucherstäbchen. Unmengen an Kaffee. Morgens der Geruch von kaltem Rauch. Musik machen. Chords. Dub. Liebe. Sein. Mein Atari 1040 ST.
Ich wippte vor diesem, auf einem Schaukelstuhl sitzend, meine heute Große in den Schlaf. Sehr oft. Nebenher editierte ich Flächen am Nordrack und klickte die Midi-Daten in den ST. Sie schlief dann meistens tief und fest und blieb die halbe Nacht auf meinem Bauch liegesitzen. Wir waren dann zu viert. Sie, der Atari und ich. Und Musik. Immer Musik. Wir nahmen ungefähr drölf dutzend Mini-Discs mit dem dabei entstandenen Zeug auf. Auch bis heute mitunter kuhles Zeug wie Psy’n’Bass. Wir spielten in einer Zeit, in der alle auf PC umstiegen unsere ersten Live-Gigs mit dem Ding. Wegen dem und dem Riesenpult mussten wir damals immer fragen, ob die Platz für eine Tapezierplatte hätten. Die brauchten wir ob des Platzes für die Teile und dem enormen Hardware-Aufkommen immer. Wir liebten diese Kiste auch sehr viel später noch.
Wir zogen wieder um, dann in eine WG. Wir verzichteten alle gemeinsam auf ein Wohnzimmer, welches wir gerne gegen ein Studio eintauschten. Das Herz davon: der Atari ST und das riesige Pult. Ich kaufte etwas später, so um 2001 eine externe Festplatte dazu, weil das Speichern auf Disketten immer umständlicher und vor allem zeitintensiver wurde. Ich legte für die 60 MB Festplatte, die fast so groß war wie ein Plattenspieler gut 200 Mark auf den Tisch. Der Tüp, von dem ich sie kaufte, war ein Arsch, aber ich musste sie haben – ich hatte sie bis heute.
(Die heute Große im Heimstudio, 2002. Triebwerk war zu der Zeit der 1040er. )
Wir machten verdammt lange Musik mit dem Ding. Auch wenn die HD damals schon muckte und man sie manchmal sechs mal an und ausmachen musste, bis sie sich endlich zum Arbeiten bequemte. Aber dann lief sie. Wir machten noch ein paar Sachen für unser erstes Album auf Thinner mit dem Teil. Dann kaufte ich ein iBook.
Mit diesem neuen Rechner, der auf all das Midi-Zeug verzichten konnte, weil er auch sämtliche Klangerzeugung und EFXs in Form von VSTs mit sich brachte, ging der Atari in seinen wohl verdienten Ruhestand. Wir kauften dann, ein paar Jahre nach der Jahrtausendwende noch einen Siemens-PC fürs Studio, zogen uns auf eMUle eine Cubase Lizenz und motteten die Kiste ein. Später zogen wir dann wieder um, hatten kein Studio mehr, auch weil wir dieses nun jeder für sich in unseren iBooks hatten. Ich nahm die Kiste entgegen des Willens der Frau des Hauses mit. Ich trenne mich so schwer von Dingen, die mir irgendwann mal ans Herz gewachsen sind. Hier hatten wir vier Abstellkammern, da würde der doch wohl irgendwo unterkommen können. Er konnte.
Jetzt ziehen wir wieder um und die Frau räumte heute die letzte der vier Kammern aus, stellte das Dingen in den Flur und fragte, „Quo Vadis?“ Ich stellte ihn schweren Herzens in den Garten, in dem er die Nacht nicht überleben wird, so lang er denn überhaupt noch irgendwas tun würde – ich habe es nicht probiert. Ich hatte den Geruch von Gras in der Nase. So wie damals. Räucherstäbchen auch. Stundenlange Lava-Lampen-Sessions. Hippietum. Chords. Die Erinnerung an das Rhodes, das ich mal verkaufen musste, um eine Miete davon klarzumachen. Ganz viel persönliche Geschichte und persönliche Geschichten. Ganz viel Liebe auch. Zur Musik. Zu dem, mit dem ich sie einst machte.
Nächste Woche kommt ein großes, orangenes Auto und holt die blaue Case Mod-Kiste ab. Auf nimmer Wiedersehen. Ich werde ihn nicht vermissen. Mein Rechner heute macht all das, wofür wir damals immer 25m² an Technik auf- und abbauen mussten. Verkabeln mussten. Und darauf hoffen mussten, dass das alles überhaupt irgendwie funktionieren würde. Trotzdem tat es mir heute ein bisschen weh. Ich trenne mich so schwer von Dingen, die mir irgendwann mal ans Herz gewachsen sind. Mach es gut, 1040er, Du warst mir ein wahrlich dicker Kumpel!
Und ja, hier steht ein Gartenzwerg vorm Haus.
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