So manche Dinge vergisst man viel zu schnell. Vielleicht auch deshalb, weil man sie vergessen soll. Die Tage von Genua sind so ein Ereignis. Erinnern kann man sich noch immer an die Bilder, die Straßenschlachten zeigen. Auch einen Toten. Und immer wieder Gewalt. An was man sich aber nicht mehr ganz so genau erinnern kann, sind jene Umstände, die sich für diejenigen ergaben, die dort verhaftet und ins Gefängnis in Bolzaneto gesteckt worden sind. Jetzt, wo der Prozess noch nicht beendet ist aber doch sehr viele Geschehnisse ans Licht bringt, kommt die Frage auf, ob Italien tatsächlich ein Land in Europa ist.
…Am schlimmsten ist es in der einzigen Toilette. Sie hat einen Stehabort und wird zum Ort von Folter und Terror. Die Tür steht offen und die Häftlinge müssen sich vor ihrem Begleiter erleichtern. Einige der Frauen brauchen Binden. Als Antwort bekommen sie zerknülltes Zeitungspapier zugeworfen. M., eine Frau fortgeschrittenen Alters, zieht sich ein T-Shirt aus und „behilft sich so“. E. P. bekommt im Flur während des kurzen Gangs von der Zelle zur Toilette Hiebe, nachdem man sie gefragt hat, ob sie schwanger sei. Auf der Toilette wird sie beleidigt („Sau“, „Nutte“) sie drücken ihr den Kopf in die Toilette und sagen: „Was für einen schönen Arsch du hast“ und „Gefällt dir der Schlagstock?“ Wer im Saal ist, sieht die, die von der Toilette kommen. Alle weinen, einige haben Verletzungen, die sie zuvor nicht hatten. Folglich wollen viele nicht mehr fragen, ob sie zur Toilette dürfen. Sie machen sich in die Kleider, dort, in den Zellen, in der Sporthalle. Daraufhin werden sie im Krankenzimmer geschlagen, weil sie „stinken“, die Ärzte protestieren nicht.
(Giuseppe D’Avanzo, „Das Grauen von Genua“, Tagespiegel)
Mir ist übel.