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Gastbeitrag von Ursula Demitter: Ein Leben in der DDR – Kindheit, Teil 2

Ursula Demitter aus Potsdam ist 67 Jahre alt, lebte und arbeitete in der DDR. Unter anderem bei der DEFA. Heute gibt sie Nachhilfeunterricht und schreibt hin und wieder ihre Erinnerungen von damals in Textdokumente. Da ich ohnehin ein großes Interesse an DDR-Biografien des Alltags habe und möchte, dass derartige Erinnerungen nicht auf irgendwelchen Festplatten verschimmeln und irgendwann einfach den Tod einer Festplatte sterben, packe ich die Texte von Ursula ab jetzt hier in unregelmäßigen Abständen rein. Hier finden sich alle ihrer Texte.

Potsdam, Holländisches Viertel
(Foto: Max Baur, unter CC von Bundesarchiv‎)

Unsere sonntäglichen Fahrten zu den Verwandten waren abenteuerlich. Manchmal waren Straßen gesperrt, manchmal gab es Kontrollen oder wir fuhren Umwege über unbefestigte Feldwege, um Kontrollen zu umgehen. Einige Brücken, die am Kriegsende gesprengt worden waren, wurden nur notdürftig wieder zusammengeflickt. Wenn wir mit dem Auto darüberfuhren, federten und polterten die Holzbohlen. Dann gab mein Vater immer seinen Kommentar ab: „Na hoffentlich hält sie diesmal noch…“ und man spürte, dass er es ganz ernsthaft meinte.

Ich träumte nachts davon, dass die Brücken unter uns zusammenbrachen. Noch heute fahre ich nicht gern über Brücken und drossele immer stark das Tempo.

Was von den vielen uniformierten Russen zu halten war, blieb mir als Kind etwas unklar. Jedenfalls hatten die meisten Erwachsenen Angst vor ihnen. Wenn wir Kinder an Sonntagen aus der Mittelstraße in unseren Kleingarten auf dem Pfingstberg gingen, kamen wir durch die Puschkinallee am Kapellenberg. Dort wohnten die russischen Offiziersfamilien, die zum Planquadrat des KGB-Städtchens gehörten.

Ein mal bedrohten uns zwei russische Kinder mit Zaunlatten. Meine Schwester, die vom Leben in dieser Zeit am meisten verstand, befahl dass wir weglaufen. Mir leuchtete das nicht ein, da die Kinder kleiner waren und wir waren immerhin zu dritt. „Wir dürfen sie nicht verhauen, sagte meine Schwester, sonst werden unsere Eltern abgeholt.“ Das Wort „abgeholt“ habe ich als Kind oft gehört. Meistens wurde es nur geflüstert und die Leute blickten sich dabei scheu nach allen Seiten um. Jedenfalls genügte in dieser politisch instabilen Lage nur wenige Jahre nach Kriegsende eine einzige Denunziation, dass jemand auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Meine Mutter hatte mit den Russen nicht viel am Hut. Mein Vater, der den Krieg erlebt und den Russlandfeldzug miterlebt hatte, sah das anders. „Das sind genauso arme Schweine wie wir, sagte er. Die hat der Stalin verheizt, wie uns der Hitler. Außerdem sprach mein Vater ein wenig Soldatenrussisch. Auf den Fahrten über Land trafen wir oft einzelne russische Offiziere, die zu Fuß unterwegs waren. Dann hielt mein Vater an und lud den Offizier auf Russisch zur Mitfahrt ein. Meine Mutter musste den Beifahrersitz räumen und zu uns Kindern in den fensterlosen Laderaum krabbeln, in dem es auch keine Sitze gab. Das gefiel ihr überhaupt nicht. Erst viel später habe ich begriffen, dass mein Vater fast immer irgendetwas im Auto transportierte was unerlaubt war und zu Komplikationen führen konnte. Bei deutschen Kontrollposten sagte er einfach: „Das gehört dem Russen.“ Viele winkten auch das Auto einfach durch, weil ein Russe neben dem Fahrer saß. Wir hörten als Kinder auch oft von betrunkenen Russen, die in der Stadt am Abend randalierten. Das waren in der Regel einfache Mushiks.

Ich selbst habe es nie gesehen, kenne aber die Erzählungen davon, dass sie von ihren eigenen Leuten ganz fürchterlich verdroschen wurden und dann nach dem Prinzip vier Mann vier Ecken in hohem Bogen auf einen LKW geschmissen wurden. Jedenfalls ist mir noch erinnerlich, dass man, wenn ein Russe zudringlich würde, ganz laut rufen sollte: “Ich gehen Kommandantura“.

Als meine Eltern in diesen Jahren einen Hund anschafften, damit wir Kinder einen Spielgefährten haben sollten, wurde er kurz darauf in der Puschkinallee von einem Russen-LKW überfahren. Der kam mit hoher Gescwindigkeit um die Ecke gebraust, die Bremsen quietschen laut und irgendwie war Chaos. Meine Muttern nahm uns an die Hand und wir mussten weitergehen. Unsere Eltern wollten, dass wir vom Geschehen sowenig wie möglich mitbekommen sollten. Später hörte ich, wie mein Vater meiner Mutter erzählte, dass er sich von einer Anwohnerin einen Spaten geborgt und den Hund neben der Straße auf dem Kapellenberg eingegraben hatte. Das war Rüpel, er war nicht lange bei uns.

2 Kommentare

  1. AG23. März 2013 at 14:09

    Danke fürs Veröffentlichen :-)

  2. zahr19. Oktober 2013 at 16:55

    ich als wessi musste doch erstmal nachschauen, was denn ein „mushik“ ist…;-)
    tolle texte! danke fürs veröffentlichen!

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