es war heiß. Wir hatten keine Arbeit, keine Angst vor nichts, gutes Geld vom Amt, mindestens immer eine Eisbong unterm Kiel, eine exzellente Anlage, die ich schon kaufte, bevor ich gutes Geld vom Amt bekam und wir hingen einfach nur so rum. Tagelang, wochenlang, monatelang. Nichts zu tun, laute Musik und immer den Rauch vom Dope in der Nase.
(Foto: Christian Schirrmacher, CC BY 2.0 )
Zum Hinterhof raus: unser „Schlafzimmer“ mit dem Hochbett, unter dem die Plattenspieler nebst den Platten standen – und die Boxen, die bei geöffneten Fenstern die gesamte Nachbarschaft unterhielten, was die meist so geil gar nicht fand. Hintenraus gab es immer Techno. Oder Drum ’n‘ Bass. Laut. Bei offenen Fenstern.
Schöneberg, irgendwann in den 90ern. Heute nicht wissen, was morgen gehen würde – und es war egal. So wie damals alles irgendwie egal war – außer die Musik. Immer. Manchmal trommelten wir auf unseren, für die Bude viel zu großen, Djembés und irgendwer spielte dazu sein Didgeridoo. Gerne den ganzen Tag lang. Wir hatten ja eh nichts zu tun.
Samstags fuhren wir manchmal ins Spacehall und tauschten unser Geld in Platten, von denen dann die nächsten Tage wieder die ganze Nachbarschaft etwas haben sollte. Manchmal klingelten sie, aber sie riefen nie die Bullen. Meistens kochten wir dann abends in der Küche, die ich von meinem Bausparvertrag gekauft hatte, den meine Eltern für mich kurz nach der Wende abgeschlossen hatten. Ich kündigte den, als ich ausziehen wollte. Zum Glück. Ein paar Monate später machte sich der Vertreter dafür, der bis zur Wende bei der NVA gearbeitet hatte, mit all den Prämien und wohl auch mit den an ihn direkt gezahlten Einlagen, vom ostdeutschen Acker und verpisste sich auf irgendeine Insel im Meer. Dorthin, wo es warm war. Dorthin, wohin eigentlich alle damals wollten und viele wussten, dass sie da mit ehrlicher Arbeit niemals hinkommen würden. Er zog einfach los. Mit ihrem Geld. Kurz nach dem ich das meine hatte.
Wir mieteten eine wirklich runtergekommene Bude am Walter Schreiber Platz in Schöneberg, direkt an der Stadtgrenze zu Steglitz. Eine Bude, die vor uns ein H-Junkie bewohnte. Zwei Zimmer und erstmal soviel Arbeit, dass die Hausverwaltung drei Monate lang auf Mietzahlung verzichtete und sogar das Bad noch auf benutzbar sanierte. Der Rest lag an uns.
Wir kloppten alles raus, sortierten die gebrauchten Spritzen samt der alten Küche auf den Müll und freuten uns über unsere erste Bude in Berlin. In Westberlin. Junge Ostler in Westberlin – das war schon groß, damals. Für uns. Sie gerade 18, ich noch nicht mal das.
Die Kohle von meinem Bausparvertrag investierten wir in eine weinrote Küche von Möbel Höffner für 3700 DM und in eine gebrauchte Ledercouch-Garnitur in Pink, die wir irgendwo in Rudow gegen 1500 DM eintauschten. Wir ließen die ollen, vergammelten Dielen abschleifen und hatten unsere erste eigene Bude. In Westberlin. Wir hatten uns, Freunde aus dem Osten und immer Musik. Es musste immer Musik da sein.
Ich machte meine Ausbildung fertig und am ersten Tag nach dem Abschluss der selbigen kündigte ich. Ich wollte das nicht mein Leben lang weiter machen. Eigentlich wollte ich das nicht einen Tag länger weiter machen wollen. Sie arbeitete weiter Vollzeit.
Mit dem Amt lief das damals noch ein bisschen anders und ich kam mit dem von dem gezahlten Geld auf mehr, als sie für ihre 40 Stunden-Woche bekam. Nebenbei klebte ich bei irgendwelchen Leuten Tapeten an die Wand und strich ihre Küchen. Für gutes Geld. Wenn das mal nicht der Fall war, waren Freunde da und wir hörten Musik. Immer. Immer laut.
Es war dieser eine Sommer, es war heiß. Hintenraus das verrauchte Schlafzimmer in dem unterm Hochbett unsere Plattenspieler standen. Vorne raus der Eingang zum U-Bahnhof Walter Schreiber Platz der sich genau vor den Fenstern unserer Hochparterre-Bude befand. Die Fenster immer offen, die Musik mehr als laut.
Wenn sie damals arbeiten war, saß ich mit Freunden auf den äußeren Fensterbrettern Hochparterre genau am U-Bahn Ein- und Ausgang Walter Schreiber Platz. Die Füße nach draußen baumelnd. Lächelnd. Wir hörten ständig diesen einen Song in Repeat, gespielt auf der exzellenten Denon-Anlage. Laut. Hundert Mal. Und alle die aus der U-Bahn kamen oder in diese gingen, nahmen ein paar Takte von genau diesem Song mit in ihren Tag. Darüber muss ich auch heute manchmal noch lächeln. Viele von ihnen lächelten damals auch. Sie waren auf dem Weg zur Arbeit oder kamen gerade von dieser. Wir saßen einfach nur so auf den Fensterbrettern, hatten nichts zu tun, hörten Musik und machten, dass die Luft nach Dope roch. Zu diesem Song. Es war ein großartiger Sommer. Ich glaube, unser vorletzter in Berlin. Killing me softly.
Scheiße das las sich aber gut
Hey nicht nach dem Vorspann aufhören.
MEHR DAVON!!!
Walter Schreiber Platz? Schöneberg? Sag das bloss nicht vor den Einheimischen. Friedenau Baby ;)
Danke Ronny,
wegen diesen Geschichten mit dieser Schreibe mag ich deinen Blog sehr! Und wenn ich durch dieses Lied meine eigenen Erinnerungen an rauchgeschwängerte Nachmittage im Bauwagen mit meinen Jungs aufblitzen sehe …
Toll!
Diese Beiträge machen den Unterschied. Sie trennen die vielen anderen Blogs von Deinem.
Persönlichkeit, echte Geschichten, Authentizität! Wenn ich das lese, ist es als wäre ich dabei gewesen. Wie eine kleine Reise. Und irgendwie hat es ja oft mit Musik zu tun. Kein Wunder, mit Musik kann man so schön Emotionen und Erlebnisse verbinden und ‚wegspeichern‘. Schön, dass dann einfach so, wenn der Song mal wieder vorbeigeflogen kommt, all die Emotionen wieder aktiviert werden… Und schön, dass wir teilhaben dürfen….
Martin
Richtig geil. Stay true to yourself, never forget where ur coming from!!! <3
so schön, dass ich kommentieren will. die sonne scheint durchs fenster und es kommt techno aus der box – und für einen kurzen moment saß ich auf deiner fensterbank in berlin. danke dafür!
Wirklich ´n klasse Beitrag!
<3 Schöneberg Löv!
Hallo Ronny,
ich lese keine Bücher, nur deinen Blog.Schreib doch mal ein Buch, dann lass ich das mit dem Blog.
Du nu wieder!
<3 <3 <3
Hab das jetzt noch nichtmal gelesen, werde es aber noch tun und sage mal vorweg aus Erfahrung: sowas mag ich, hier.
In dem Sommer fuhr ich zum letzten mal mit ’nem geliehenen Bully vom Taxi-Chef nach Berlin auf die Loveparade, war glaube ich der erste Love Park im Tresor mit Väth damals, Mark Spoon hat in der prallen Sonne das Koks von den Titten eines Groupies gezogen und die Makatsch hab ich da auch noch gesehen an dem Mittag, total durch und auf Acid. 96, Dicker. Geilster Sommer.
Schöner Text. Erinnterte mich an etwas, dass ich vor längerer zeit gelesen hatte. Google. Und Freude: Das Buch ist da. Mikis Wesensbitter ist Blogger oder so was. Hat die Wende so ähnlich erlebt. Aufbruch nach dem Grau. Kann gut schreiben. Das hört sich immmer lustig an wies damals war in Westberlin. Bin 30 aber mag den shit. Auf der Seite gibts da ein paar Ausschnitte. Und ich bestell mir jetzt das Buch. Yes.
Hier der Link:
http://wesensbitter.de/wir-hatten-ja-nuscht-im-osten-nich-ma-spass/
Danke Ronny das ich damals dabei sein durfte und auch das ein und andere Mal mit euch zusammen eine extrem schöne Zeit erleben konnte… ich hab all das toll geschriebene mit Genuß gelesen und hab mich aber schlagartig in Gedanken dort wieder gesehen! Hab Fotos von damals noch und eins steht direkt neben mir bei euch im Wohnzimmer… genial..
WIrklich toller Text! Inhaltlich interessant und schoen geschrieben. Klingt an vielen Stellen, wie meine eigenen Erinnerungen an diese Zeit…
…Wann kommen Deine Memoiren? :)
stimpy,
PS: Bin sogar Tage spaeter noch mal wieder gekommen, nur um Dir das zu schreiben.. SO gut fand ich den Text.. ;)
Erst jetzt dazugekommen den Text zu lesen.
Seeehr schön!!!
Wegen sowas mag ich deinen Blog am liebsten (und der Mucke;)