Zum Inhalt springen

Dieser Staub bei der Ernte

Wenn die Eltern im Mai aus ihrem Kaninchenstall bis zum Oktober in ihren Bungalow zogen, nahmen sie uns selbstredend mit. Dann hieß es immer: Garten, Natur – pur, keine Heizung, nur kalt Wasser, frische Luft von früh bis zum nächsten Morgen, Unkraut jäten, Rasen und Laub harken, Obst und Gemüse ernten, es essen, sich „frei fühlen“, wie sie das als schon gediegene DDR-Bürger nannten. Und: so meinten sie das auch. Alles was es zuverlässig und immer gab, war Strom und Wasser aus dem eigenen Brunnen. Vorausgesetzt, die Wasser-Pumpe machte keinen Strich durch diese Rechnung, was natürlich hin und wieder dennoch vorkam. Klar. Wenn wir dann Freizeit oder Ferien hatten, die damals noch länger waren (immerhin mussten wir auch Samstags ran), fuhren wir stundenlang mit den Rädern durch die Gegend, die in naher Nähe nicht viel mehr hergab, außer Felder und Gärten. Gerne auch fuhren wir bei über 30 °C. Das, was sich zwar Straßen nannte, aber nichts weiter als Feldwege waren, war dann unser Radweg und wir träumten davon, auf jenen bis in den Süden der Staaten fahren zu können irgendwie. Wenn es so heiß war wie die letzten Tage, waren die Wege nur Kurze und das Ziel klar definiert: Der „Froschteich“, wie der Tümpel hieß, der so klein war, das man darin nicht mal baden, aber durchaus angeln konnte. Manche Nacht schliefen wir dort auch und hielten unsere Angeln in das Wasser, immer in der Hoffnung mal wirklich was fangen zu können. Das wohl größte Erfolgserlebnis dabei war ein Karpfen vonn 1200 Gramm, der zwar nur schlammig schmeckte, bei den Männern der sommerlichen Nachbarschaft aber dennoch für Fame sorgte, denn das hatte vorher niemand von dort mit nach Hause gebracht.

Wenn der Sommer schon etwas älter war, setzten wir uns immer tagelang an die Bahnschienen, die Adolf mal hatte verlegen lassen um seinen geplanten Flughafen anzusteuern, was im glücklicherweise nicht mehr gelang, und warteten auf die vielen Mähdrescher, die der Ernte einfahren würden. Endlich. Es war immer einer der kleinen Höhepunkte im Sommer. Das Brummen, der großen Sensen an diesen Dingern, das Essen was die Frauen der Fahrer immer Mittags brachten, die Gerede der Fahrer, die schon Mittags mehr getrunken hatten, als das, was ich heute in einer ganzen Nacht schaffe. Und der Staub in der Hitze, der aufstieg, wenn sie die Ähren in ihre Tanks katapultierten. Wir saßen dann immer in der Nähe und zogen uns die T-Shirts ins Gesicht um überhaupt atmen zu können. Das war es wohl, was man heute hier gerne Jungpionier-Romantik nennt und es war schön in diesen Momenten. Es war heiß, es war staubig und wenn ich heute bei über 30 °C an einem Getreidefeld vorbei fahre, dann muss ich immer an diese Momente denken. So wie Gestern. Dann würde ich mir gerne das T-Shirt ins Gesicht ziehen und auf die Mähdrescher warten, die die Ernte einfahren. An die Frauen, die das Essen bringen und an die lallenden, aber sicheren Fahrer.

Als ich heute dann wieder an diesem Feld mit dem Rad vorbei fuhr, waren die Ähren schon geerntet und ich war etwas traurig, diesen Staub beim Mähen nicht gesehen und nicht geatmet zu haben. Wehmut irgendwie. Ich liebe diese Hitze, aber ich vermisse diesen Staub

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Entdecke mehr von Das Kraftfuttermischwerk

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen