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Kategorie: Die Wende

Noch für ein paar Tage bei arte im Stream: „Gundermann“

Arte hat aktuell für noch ein paar Tage den aus verschiedenen Gründen wirklich sehenswerten Film „Gundermann“ im Stream. Wer rückblickend einen Blick auf das Wesen der Kultur in der DDR und dem Danach haben möchte, dem sei dieser Film empfohlen. Wer ihn aus anderen Gründen sehen will, natürlich auch. Ich, jedenfalls, muss dabei immer an meinen geliebten Kumpel Bohm denken, (der sehr gerne mal Gundermann spielt und singt – und das hier irgendwann lesen wird, weil er regelmäßig seinen eigenen Namen in die Blogsuche eingibt. Bussi für dich, Liebchen!)

Lange hatte sich der Sänger Gerhard „Gundi“ Gundermann seine Stasi-Tätigkeit als IM ab 1976 in seiner ostdeutschen Heimatstadt Hoyerswerda selbst schöngeredet. Doch nun muss er sich seiner eigenen Schuld stellen und der Frage nach dem Warum. Was hatte ihn, den liederschreibenden Baggerfahrer, den rebellischen Idealisten, dazu bewogen, sich instrumentalisieren zu lassen?
„Wenn es denn Kommunismus als Weltanschauung nicht schon gäbe, hätte ich da auch ganz von selber draufkommen können.“ Mit diesen Worten bewirbt sich Gerhard „Gundi“ Gundermann in den 70er Jahren bei der lokalen SED-Leitung in Hoyerswerda um Aufnahme in die Partei. Denn der Lieder schreibende Baggerfahrer ist überzeugt von den Idealen der DDR. Doch Gundermann, der etwas bewegen will, ist für das System, für das er brennt, zu unbequem, zu kritisch und mit seinen Liedern zu aufrührerisch. Schnell will die lokale Führung den Künstler „wegen unerwünschter eigener Meinung“ wieder aus der SED ausschließen. Aber der protestiert, kämpft weiter für das, woran er glaubt, und das ist seine Heimat, sein Land. 1976 lässt er sich sogar von einem Führungsoffizier des Ministeriums für Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter anwerben, um der Sache zu dienen, wie er hofft. Erst Jahre später, nach dem Mauerfall und nachdem er bereits mit seiner Musik ein breiteres Publikum erreicht hat, holt ihn seine Stasi-Vergangenheit wieder ein. Dann muss sich der Idealist dem stellen, was er all die Jahre verdrängt hat, seiner eigenen Schuld. Denn seine Akte offenbart, dass seine Tätigkeit für die Stasi weit darüber hinausging, nur Missstände im Tagebau anzuprangern. Er hatte Details weitergegeben, private Briefe, sogar Fluchtpläne verraten. Er war ein Spitzel, der selbst bespitzelt wurde. Ein Erkenntnisprozess, der für den Sänger schwer ist. Bei dem er aber immer von seiner großen Liebe, seiner Frau Conny, unterstützt wird. Doch am Ende muss sich Gundermann die Wahrheit seines Tuns nicht nur vor sich selbst, sondern auch vor seinen Fans eingestehen …

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Flohmarktfund: Tapete Records veröffentlicht bisher unbekannten DDR-Spacepop-Song aus den 70ern und sucht nach der Sängerin. Charlie Keller – Ich, Sigmund Jähn


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Was für eine hübsche Geschichte zu diesem wirklich auch großartigen Lied von Charlie Keller. Wer und wo auch immer sie sein mag, ich hoffe man findet sie.

Ab 2009 veröffentlichten wir auf unserem Schwesterlabel Bureau B die inzwischen vergriffene Compilations „Funky Fräuleins“ Vol. 1 und 2 sowie „Beat Fräuleins“. Zu diesem Zweck trugen wir auf Flohmärkten etc. kartonweise Schallplatten und Memorabilia zusammen. Dabei fielen uns u.a. mit Bleistift beschriftete Tonbänder der Marke „Orwo“ die Hände. Mangels Abspielmöglichkeit lagerte das Band jahrelang ungehört bei uns im Büro. Jetzt kamen wir dazu es abzuhören. Es befindet sich ziemlich tolle Musik drauf, wohl gesungen von „Charlie Keller“. Den spärlichen Hinweisen und den Texten zufolge muss es sich um eine Künstlerin aus der DDR handeln, die Aufnahmen sind wohl Ende der 70er entstanden. Da man im Internet so gut wie nichts über die Künstlerin fand und auch den einschlägigen Expert*innen der Name nichts sagte starteten wir einen öffentlichen Aufruf mit der Bitte uns Informationen über Charlie Keller und ihre Musik zukommen zu lassen.


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Charlie Keller (vermutlich Pseudonym, richtiger Name bisher nicht bekannt) soll am 11. November 1950 in Wattenscheid geboren worden sein. Als überzeugte Kommunistin siedelte sie angeblich im Alter von 18 Jahren in die DDR über wo sie eine musikalische Ausbildung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin erhalten sollte. Es fiel der zwar talentierten, allerdings sehr impulsiven und in Westdeutschland sozialisierten jungen Frau schwer sich dem Kollektiv unterzuordnen weshalb sie sie die Hochschule bereits nach kurzer Zeit wegen zahlreicher disziplinarischer Verstöße wieder verlassen musste. Trotz ihrer Exmatrikulation wurde es Keller augenscheinlich jedoch gestattet weiterhin künstlerisch tätig zu sein. Die wieder aufgefundenen Aufnahmen, legen davon Zeugnis ab. Die einmalige Chance eine hübsche, talentierte und vor allem westliche Kommunistin ins popkulturelle Schaufenster zu stellen wollte man sich im Kalten Krieg wohl nicht nehmen lassen. Pate hierfür dürfte der Erfolg des „Roten Cowboys“ Dean Reed gestanden haben. Vermutlich da sie ihr Temperament nicht unter Kontrolle hatte wurde es schlussendlich doch nicht gewagt ihre Musik zu veröffentlichen geschweige denn Keller öffentlich auftreten zu lassen. Zudem erschienen Kellers Texte höchstwahrscheinlich selbst für AgitProp-Verhältnisse als zu dick aufgetragen.

Frustriert ob der verhinderten Karriere und nicht Willens einer anderen Tätigkeit nachzugehen wurde Keller wohl für ihr Gastland immer mehr zu Last und galt bald als ideologisch unzuverlässig und somit als Gefahr. Angeblich wurde Keller kurz vor dem Mauerfall ausgebürgert und soll seitdem in Westdeutschland leben. Über ihren Verbleib ist bis dato nichts bekannt.

Zu Ehren des am 21.09.2019 verstorbenen Kosmonauten veröffentlichen wir das Lied zu seinem ersten Todestag.

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Auf ins Kinderferienlager!

Als ich das erste Mal von meinen Alten ins Ferienlager geschickt wurde, hasste ich es in diesem Moment. Zum Schluss der DDR war ich während der Sommerferien gerne drei mal für zwei Wochen weg und liebte es. Meine Alten auch – die hatten dann immer schön „kinderfrei“. Was ich dann immer dabei haben sollte:


(via DDR Museum)

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Carsten “Erobique” Meyer, Paul Pötsch & Lea Connert – Wir treiben die Liebe auf die Cyber-Weide

Eigentlich hatte ich mich auf den Abend des 9. Aprils im Hebbel am Ufer gefreut. Carsten “Erobique” Meyer, Paul Pötsch sollten dort Lea Connert sollten mit ihrem Programm Wir treiben die Liebe auf die Weide auf der Bühne stehen, für das sie im musikalischen DDR-Erbe der 60er und 70er Jahre fischen. Damals entstanden Songs mit einem Bekenntnis zu Jazz, Afrobeat, Schlager, Soul, Tropicália und Funk, die so rein gar nichts mit dem grauen Klischee-Bild der DDR zu tun haben. Ich hatte Tickets, die durch den Lockdown natürlich hinfällig wurden, was mich ein wenig traurig machte. Aber es wird sicher einen Nachholtermin geben und ich freue mich dann halt nochmal auf diesen Abend. Und auch wenn die Leute nicht auf der Bühne stehen können, spielen sie doch zusammen mal Musik. Online. So wie hierfür.


(Direktlink)

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Elf99 Spezial aus dem Oktober 1990: „Die Kinder vom Busbahnhof“ – eine Doku über Jugendliche in Pößneck (Thüringen)

Ich finde mich in dieser flashbackenden Doku häufig selbst wieder, auch wenn ich damals mit 14 noch etwas jünger war, als jene fast jungen Erwachsenen in diesem Elf99 Spezial aus dem Jahr 1990, die über ihre Sehnsucht nach Freiräumen für sich reden. Und darüber, dass diese ihnen nicht gewährt wurden. Ich erinnere mich recht gut an diese Zeit. Keine Ahnung, wie es damals im Westen aussah, da war ich bis dahin selten bis nie. Aber bei uns Kids im Osten, war es nicht nur dort ziemlich genau so. Und dann hingen wir nachmittags und abends auf dem damals noch offenen Schulhöfen rum. Im Sommer im Schwimmbad. Ansonsten vor dem Tante Emma-Laden in der Vorstadt. Keiner wollte uns an nur einem dieser Plätze haben. Genau genommen wollte uns damals überhaupt niemand auch nur irgendwo haben. Weil wir störten. Alle, jeden, überall. Das war der Zeit und den damaligen Umständen geschuldet. Einer Zeit, in der wir einfach alle auf den Sack gehen wollten. Auch und gerade, weil sie uns keinerlei Freiräume zugestehen wollten. War schlimm, aber auch ein bisschen geil, weil schon auch sehr anarchistisch. Wobei wir damals nicht wussten, dass es dieses Adjektiv überhaupt gab. Und wofür es stand sowieso nicht. Wir trafen uns, versuchten Nazis zu meiden und hatten jugendlichen Spaß. War gut.

Mir fehlt hierbei ein bisschen die kritische Auseinandersetzung mit den damals gedeihenden Nazistrukturen, die 3-4 Jahre später das jugendlich, ländliche Leben komplett im Griff hatten, aber das spiegelt auch ganz gut die gesellschaftliche Auseinandersetzung damit statt, die eigentlich nicht stattfand, was uns damals schon tierisch ankotzte. Manche dieser Tüpen sitzen heute vielleicht in ostdeutschen Landesparlamenten. Weil sie schon in den 1990ern als nicht so schlimm empfunden wurden.

Ansonsten: sehenswertes Zeitdokument.

https://youtu.be/irs7XF49gNU
(Direktlink, via Jens)

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Dresdner Interregnum 1991 – Ein Poem

https://youtu.be/YpNBDmtVZl4
(Direktlink)

Dresden 1991, die DDR war gerade erst zu einem Kapitel in den zukünftig zu druckenden Geschichtsbüchern geworden, als der Dresdner Kameramann, Autor und Regisseur Werner Kohlert seine Stadt im Auftrage des Kulturamtes filmte und jene Gegebenheiten für die Nachwelt festzuhalten versuchte. Grau war es. Grau, wie auch ich meine Kindheit im Osten in Erinnerung habe – und das einfach nicht los werde. Dresden, Halle, Leipzig, Schwerin, Potsdam, Rostock… Überall war alles dunkelgrau, so meine Erinnerung.

Kohlert hat für Dresdner Interregnum 1991 damals 6.000 Meter Film aufgenommen, die die Elbmetropole in der Zeit des Umbruchs und der Neufindung verewigten: „das Grau der Innenstadt, die ersten Aufbrüche in die westliche Warenwelt, Ruinen der Neustadt, die schon dem Abriss geweiht waren bis hin zur Tristes der Neubausiedlungen am Rande der Stadt.
Rund 20 Jahre danach fasste Werner Kohlert seine Aufnahmen zu einem 60-minütigen Filmdokument zusammen, wohl wissend, dass jetzt die Zeit reif ist, um vergleichend, manchmal auch staunend auf die Metamorphose Dresdens zurückzuschauen.“

Das ist jetzt über zehn Jahre her. Die dabei entstandene Doku würde ich gerne mal sehen, finde sie aber aktuell im Netz nicht. Deshalb hier so eine Art Trailer und die Empfehlung auf die eigentliche Doku.

https://youtu.be/aDQATJlj6Q0
(Direktlink)

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Doku: Back in the days – Hip Hop und die DDR

Sehenswerte mdr-Doku aus dem letzten Jahr, die sich mit HipHop in der DDR auseinandersetzt. Soll mal keiner sagen, der wäre komplett am Osten vorbeigegangen.

„Die winzig kleine geschützte Welt DDR hat mir erst die Möglichkeit verschafft, ein bunter Vogel zu sein“, Bernhard Beatschmidt aus Dessau wurde, wie viele andere, 1983 mit dem Hip-Hop-Virus infiziert.

Als die ersten Bilder von amerikanischen Breakdancern über das Westfernsehen hinter den Eisernen Vorhang schwappten, fingen in der DDR von der Ostsee bis ins Erzgebirge junge Menschen an zu tanzen – auf öffentlichen Plätzen und Straßen – argwöhnisch beäugt vom Staat, von der Polizei vertrieben und sogar inhaftiert.

Doch ein paar Jahre später war Hip-Hop mit Breakdance, Rapmusik und Grafitti im sozialistischen Staat salonfähig. Das DDR-Fernsehen schmückte sich stolz mit dieser Jugendkultur. „Wir wurden sogar benutzt“, meint Mike Dietrich aus Leipzig. Doch mit dem Mauerfall zerfiel auch die Hip-Hop-Szene der DDR.

„Back in the days“ erzählt ein kaum bekanntes, aber schillerndes Stück DDR-Geschichte. Breakdancer, Musiker und Sprayer der damaligen Zeit berichten von Grafitti in der NVA, Schmuggelware aus dem Westen, selbstgestalteten Klamotten und von einer bunten Republik im grauen Alltag. Die Dokumentation präsentiert bisher nicht gezeigte Amateuraufnahmen aus den Anfängen bis hin zu den großen Fernsehshows der DDR gegen Ende der 1980er.


(Direktlink, via I ❤ Grafitti)

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Feature: Rio Reiser 1988 in Ostberlin

Kurzer Nachtrag zum 70. Geburtstag von Rio Reiser: ein Feature über die beiden Konzerte, die Rio im Oktober 1988 in der Ostberliner Werner-Seelenbinder-Halle gegeben hat. Der einstige Ton Steine Scherben Frontmann in der DDR. Da wäre ich so was von gerne dabei gewesen, war aber schlichtweg noch zu jung, um abends auf Konzerte zu gehen. So blieb mir später nur das Doppelalbum, das bis heute zu den wichtigsten zählt, die ich je gekauft habe. Immer noch und immer wieder Gänsehaut. Was für unbeschreibliche Momente, die die Menschen dort geteilt haben dürften. Wahnsinn.

Und dann, nach der Umbaupause, endlich: Grüner Nebel, blaue Scheinwerfer, und heraus tritt lächelnd ein schmaler Mann in Röhrenjeans und Sakko, eine Schiebermütze auf dem Kopf: Rio Reiser! Links neben ihm im weißen Hemd, Strohhut und Gitarre: Lanrue. Die beiden, die das Herz von „Ton, Steine, Scherben“ gewesen waren, die „Keine Macht für niemand“ und „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ gesungen hatten, hier in der piefigen Republik der alten Männer! Die Fans singen jede Zeile mit, tanzen, manche mit Tränen in den Augen, schwenken schwarz-rote Anarcho-Fahnen. Rio beginnt mit „Alles Lüge“. Ein Spaßsong, gewiss, aber in der DDR ist nichts nur Spaß, hier kann man nicht „Alles Lüge“ singen, ohne dass sich das Publikum seinen Teil dazu denkt.

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Die anderen Bands und der Soundtrack der Wende: Kein Bock auf Ostrock

Umfangreiches und sehr interessantes Special von hr1, das sich nach 30 Jahren des Mauerfalls dem Soundtrack der Wende in der DDR widmet.

Als am 9. November 1989 die Mauer fällt, haben nicht nur schon tausende junge Leute die DDR verlassen. Viele von denen die noch da sind, haben sich schon lange vom Staat und den etablierten Ostrockbands abgewandt. Den Soundtrack ihres Lebens bestimmen seit einiger Zeit junge und unangepasste Bands. Nicht aus London, New York oder der BRD – sondern aus Ostberlin, Leipzig oder Karl-Marx-Stadt. Unter dem Label „die anderen bands“ prägen sie für viele den Soundtrack der Wende.

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Radio-Feature: Daniel Schulz‘ ausgezeichnete Reportage „Jugend in Ostdeutschland – Wir waren wie Brüder“

(Foto: Sludge GCC BY-SA 2.0)

Im Dezember des letzten Jahres veröffentlichte Daniel Schulz in der taz sein danach viel beachteten Essay Wir waren wie Brüder. Ich las diesen Text und fand mich an erstaunlich vielen Punkten wieder. Nicht nur, weil Schulz fast das selbe Alter wie ich hat und nicht nur, weil auch er in einer brandenburgischen Kleinstadt aufwuchs und offenbar ganz ähnliche Erfahrungen gesammelt hat, wie ich in meiner Jugend.

Ist da noch Platz für die Erzählungen der neunziger Jahre aus der Sicht derjenigen, die beim Fall der Mauer zu alt waren, um nichts von der Vergangenheit mitbekommen zu haben, aber zu jung um mitzureden, wie die Zukunft aussehen sollte? Über das Jahrzehnt, in dem auch die Menschen aufgewachsen sind, die heute Hitlergrüße zeigen und brüllen?Ist da noch Platz für die Erzählungen der neunziger Jahre aus der Sicht derjenigen, die beim Fall der Mauer zu alt waren, um nichts von der Vergangenheit mitbekommen zu haben, aber zu jung um mitzureden, wie die Zukunft aussehen sollte? Über das Jahrzehnt, in dem auch die Menschen aufgewachsen sind, die heute Hitlergrüße zeigen und brüllen?

Für seinen großartigen Text erhielt er in diesem Jahr und zurecht den Deutschen Reporterpreis. Nun wurde auf der Basis des Essays ein wirklich verdammt hörenswertes Radio-Feature produziert, das ich mir letzte Nacht anhörte und mich mal wieder, wenn auch nicht immer, sehr häufig wiederfand. Schulz ist hier sehr ehrlich, sehr reflektiert, wenig verkitscht. Auch kritisch lässt er seine Jugend ganz persönlich Revue passieren. Manchmal so, dass es auch ein wenig wehtut. Und das schafft er ganz ohne Selbstmitleid. Mit Blick auf die Welt um sich herum, die zu dieser Zeit gerade untergehende DDR. Außerdem holt er seine Erlebnisse und damals gemachten Erfahrungen in die Neuzeit, die hier im Osten immer noch jede Menge Neonazis ganz offen durch den Alltag wandeln lässt – mehr denn je. Aber: sie waren nie weg.

Er ist vor Neonazis weggelaufen und er war mit Rechten befreundet. In Ostdeutschland ging das damals zusammen. Und er spricht mit Menschen, denen es ähnlich ging: „Mit den 90er-Jahren verbinde ich persönliche Erlebnisse, die derzeit wieder hochkommen“, sagt Manja Präkels, Autorin des Buches ,Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß’, „und wenn ich im Land unterwegs bin, sehe ich jetzt oft genau die Leute bei der AfD wieder, die sich als Sieger der Kämpfe der 90er-Jahre begreifen.“


(Direkt-MP3)

Ich möchte das nicht um die Bitte nach Verständnis oder verstanden wissen, teile nicht alte Haltungen von Schulz bin ihm aber dennoch dankbar für den Versuch einer Erklärung. Denn genau so war das damals für die, „die beim Fall der Mauer zu alt waren, um nichts von der Vergangenheit mitbekommen zu haben, aber zu jung um mitzureden, wie die Zukunft aussehen sollte.“

Wenn ihr wissen wollt, wie es sich als im Osten Geborener angefühlt haben könnte, der dann in einem für ihn völlig neuem System langsam erwachsen wurde, nehmt euch die Stunde Zeit. Denn ich weiß, dass Daniel Schulz mit diesen Erfahrungen nicht alleine ist.

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