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Kategorie: Die Wende

Gastbeitrag von Ursula Demitter: Ein Leben in der DDR – Kindheit, Teil 3

Ursula Demitter aus Potsdam ist 67 Jahre alt, lebte und arbeitete in der DDR. Unter anderem bei der DEFA. Heute gibt sie Nachhilfeunterricht und schreibt hin und wieder ihre Erinnerungen von damals in Textdokumente. Da ich ohnehin ein großes Interesse an DDR-Biografien des Alltags habe und möchte, dass derartige Erinnerungen nicht auf irgendwelchen Festplatten verschimmeln und irgendwann einfach den Tod einer Festplatte sterben, packe ich die Texte von Ursula ab jetzt hier in unregelmäßigen Abständen rein. Hier finden sich alle ihrer Texte.

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(Foto: Richard Peter, unter CC von Deutsche Fotothek‎)

Anfang der Fünfziger Jahre wurde in unserer Familie beschlossen, umzuziehen.
Der Umzug hatte seine Gründe. Das Holländerviertel war damals keine besondere Adresse. Da wohnten einfache Leute in alten Häusern mit sehr einfachen Wohnungen. Meine Mutter hat später behauptet, sie hätte es vermieden, ihre Adresse zu nennen.

Mit den Jahrzehnten waren die Höfe, einst große Gärten, durch Schuppen, Ställe und kleine Handwerksbetriebe zugebaut. Ebenso die Brandgassen, die in ihrer alten Funktion nicht mehr notwendig schienen. Dem Viertel fehlte Luft und Licht. Die Keller waren feucht, da hier auf Sumpf gebaut worden war.

Nachts hörte man zwischen den Geschossen die Ratten unter den Dielen rennen. Es polterte richtig laut und jagte uns Kindern Angst ein. Auch im Keller gab es Ratten. Trotzdem fanden meine Eltern es völlig normal, eins von den Kindern in den Keller zu schicken, um etwas herauf zu holen. Meistens waren es selbstgemachte saure Gurken, die dort in einem Steintopf lagen. Da es im Keller kein Licht gab, bekam man eine Dynamo-Taschenlampe in die Hand gedrückt, die man ständig drücken musste. Vom Hof aus musste die Kellerabdeckung, die mit Gewichten über Rollen lief, angehoben werden. Der Keller stand fast immer ein wenig unter Wasser. Deshalb hatten die Mieter Bretter ausgelegt, die auf Mauersteinen lagen. Darauf balancierte man bis zum Gurkentopf. Dann wurde der Deckel abgenommen. Auf den Gurken lag zur Beschwerung ein Teller, auf dem Teller ein Stein. Beides musste raus. Dann griff man voller Überwindung durch die Kahmschicht und holte mit der Hand die geforderte Anzahl Gurken heraus. Nur schnell, so schnell wie möglich wieder raus. Ab und zu passierte es, das eine Ratte durch den Keller lief. Ich glaube, ich war nur einmal allein im Keller, dann verlangte ich Begleitung.

Eine noch größere Plage für die Bewohner des Viertels waren die Wanzen. Auf mich, ein sehr hellhäutiges blondes Kind, hatten sie es besonders abgesehen. Zweimal im Jahr, so etwa zu Pfingsten und Ende August wurden die Wanzen extrem aktiv. Dann sah ich immer sehr zerbissen aus und kratzte ständig an mir herum. Meine Mutter schämte sich dessen und hatte jahrelang geglaubt, mit äußerster Sauberkeit und regelmäßigem Großreinemachen, könnte sie den Wanzen beikommen. Sie nahm beim Putzen sogar die Betten auseinander und die Bilder von der Wand. In jede Öffnung sprühten wir das damals übliche Insektengift „Mux“ hinein. Wenn ich es recht erinnere, hat sie es sogar mit DDT versucht. Im nachhinein denke ich, es hat uns Kindern mehr geschadet, als den Wanzen.

Durch den Umzug waren von einem Tag auf den anderen, die abenteuerlichen Zeiten mit meiner Straßengang vorbei. Wir waren etwa zehn Kinder verschiedenen Alters. Ich war die Jüngste. Unsere Anführerrinnen waren zwei „große“ Mädchen. Kriemhild hatte brandrote dicke Zöpfe und viele Sommersprossen und war ein Umsiedlerkind. Wir nannten sie „Krimmi“ und nie habe ich gehört, dass sie wegen ihrer roten Haare geärgert wurde. Sie verstand es, sich zu wehren. Die zweite Anführerin, die eigentliche Eleonore hieß, nannten wir „Lori“. Sie gehörte zu einer Familie, die gegenüber der Hausnummer 18 im Hof eine Firma betrieben hatte. Noch lange Jahre konnte man die Firmenaufschrift über dem Torbogen lesen: „Stahlmatratzenfabrik Guderle.“

Wenn es dämmerte fanden wir uns zusammen. Zuerst spielten wir ein bisschen lustlos „Meister, Meister gib uns Arbeit“ oder „Herr Fischer, Herr Fischer, wie tief ist das Wasser“. Dann wurden wir aufgeteilt in Räuber und Polizisten. Das Spiel bei dem wir bis über den Bassinplatz ausschwärmten und uns gegenseitig zu überwältigen versuchten, nannten wir „Räuber und Pulle“.

Am liebsten machten wir „Klingelzug“ oder legten auf den Wegen des Bassinplatzes ein altes Portemonnaie an einem Zwirnsfaden aus. Auf den Faden wurde Sand gestreut und sobald sich ein Erwachsener nach der Börse bückte, zogen wir sie blitzschnell hinter die Hecke, wo wir versteckt lagen. Dann folgte lautes Geschimpfe auf die verflixten Straßengören und wir rannten davon, als hätten wir das Schlimmste zu befürchten.

Lange Jahre gab es um den Bassinplatz und in der heutigen Friedrich-Ebert-Straße noch zerstörte Häuser, eben Kriegsruinen. Es war uns strengstens verboten, diese Grundstücke zu betreten. Trotzdem sind wir bäuchlings in halb verschütteten Kellerfenster gerutscht und haben uns gegenseitig eingeredet, dort noch Schätze zu finden. Ein Wunder, dass alles gut gegangen ist.

Ich war gerade in die zweite Klasse gekommen, als unsere Familie aus dem Holländerviertel zum Jagdschloss Stern zog. Die Siedlung hieß Kolonie Drewitz und gehörte zum Dorf Drewitz, das damals noch kein Teil von Potsdam war. Später wurde das geändert, da waren wir Babelsberger.

Im Juni 1952 wurde es merkwürdig aufgeregt in unserer Familie. Meine Eltern hingen am Radio und machten ernste Gesichter. Mit uns Kindern sprachen sie nicht über ihre Sorgen. Das war immer so, wenn es politisch wurde. Sie hatten Bedenken, dass wir in der Schule etwas ausplaudern könnten, womöglich was Falsches sagten.

Meine Mutter erlaubte mir nicht, zu meiner Freundin zu gehen, was ich überhaupt nicht verstand. Am Nachmittag hörte ich ein lautes Brummen, das die Luft mit Schwingungen erfüllte. Ich lief durch den Vorgarten auf die Straße und sah in etwa hundert Meter Entfernung auf der Bahnhofstraße, die unsere Straße querte, eine Kolonne Sowjetpanzer. Sie kamen vom Güterfelder Truppenübungsplatz und fuhren stadteinwärts. Gemächlich bewegten sie sich vorwärts und wirbelten auf der unbefestigten Straße eine riesige Staubwolke auf.

Über die parallel verlaufende asphaltierte Jagdhausstraße konnten sie nicht fahren.
Die Russen hatten sich gleich 1945 einen Zaun um ihr Planquadrat gebaut und die Straße zur Sackgasse gemacht, weil sie links und rechts der Straße größere Villen besetzt hatten. Vor dem Krieg befand sich dort ein Sanatorium. Wir Anwohner mussten einen beträchtlichen Umweg über die Kohlhasenbrücker Straße machen, um zur Bushaltestelle in der Steinstraße zu gelangen.

Während ich gebannt auf die Panzer starrte, kam meine Mutter aus dem Haus gestürzt, schrie völlig hysterisch irgendwas von „verboten raus zugehen…“ zerrte mich wortlos auf unser Grundstück und verabreichte mir links und rechts eine kräftige Ohrfeige. Danach schloss sie sorgfältig das Gartentor ab, steckte den Schlüssel in die Schürzentasche und ging wortlos ins Haus. Normalerweise wurden wir Kinder nicht verhauen. Ich war acht Jahre alt und verstand die Welt nicht mehr.

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Gastbeitrag von Ursula Demitter: Ein Leben in der DDR – Kindheit, Teil 2

Ursula Demitter aus Potsdam ist 67 Jahre alt, lebte und arbeitete in der DDR. Unter anderem bei der DEFA. Heute gibt sie Nachhilfeunterricht und schreibt hin und wieder ihre Erinnerungen von damals in Textdokumente. Da ich ohnehin ein großes Interesse an DDR-Biografien des Alltags habe und möchte, dass derartige Erinnerungen nicht auf irgendwelchen Festplatten verschimmeln und irgendwann einfach den Tod einer Festplatte sterben, packe ich die Texte von Ursula ab jetzt hier in unregelmäßigen Abständen rein. Hier finden sich alle ihrer Texte.

Potsdam, Holländisches Viertel
(Foto: Max Baur, unter CC von Bundesarchiv‎)

Unsere sonntäglichen Fahrten zu den Verwandten waren abenteuerlich. Manchmal waren Straßen gesperrt, manchmal gab es Kontrollen oder wir fuhren Umwege über unbefestigte Feldwege, um Kontrollen zu umgehen. Einige Brücken, die am Kriegsende gesprengt worden waren, wurden nur notdürftig wieder zusammengeflickt. Wenn wir mit dem Auto darüberfuhren, federten und polterten die Holzbohlen. Dann gab mein Vater immer seinen Kommentar ab: „Na hoffentlich hält sie diesmal noch…“ und man spürte, dass er es ganz ernsthaft meinte.

Ich träumte nachts davon, dass die Brücken unter uns zusammenbrachen. Noch heute fahre ich nicht gern über Brücken und drossele immer stark das Tempo.

Was von den vielen uniformierten Russen zu halten war, blieb mir als Kind etwas unklar. Jedenfalls hatten die meisten Erwachsenen Angst vor ihnen. Wenn wir Kinder an Sonntagen aus der Mittelstraße in unseren Kleingarten auf dem Pfingstberg gingen, kamen wir durch die Puschkinallee am Kapellenberg. Dort wohnten die russischen Offiziersfamilien, die zum Planquadrat des KGB-Städtchens gehörten.

Ein mal bedrohten uns zwei russische Kinder mit Zaunlatten. Meine Schwester, die vom Leben in dieser Zeit am meisten verstand, befahl dass wir weglaufen. Mir leuchtete das nicht ein, da die Kinder kleiner waren und wir waren immerhin zu dritt. „Wir dürfen sie nicht verhauen, sagte meine Schwester, sonst werden unsere Eltern abgeholt.“ Das Wort „abgeholt“ habe ich als Kind oft gehört. Meistens wurde es nur geflüstert und die Leute blickten sich dabei scheu nach allen Seiten um. Jedenfalls genügte in dieser politisch instabilen Lage nur wenige Jahre nach Kriegsende eine einzige Denunziation, dass jemand auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Meine Mutter hatte mit den Russen nicht viel am Hut. Mein Vater, der den Krieg erlebt und den Russlandfeldzug miterlebt hatte, sah das anders. „Das sind genauso arme Schweine wie wir, sagte er. Die hat der Stalin verheizt, wie uns der Hitler. Außerdem sprach mein Vater ein wenig Soldatenrussisch. Auf den Fahrten über Land trafen wir oft einzelne russische Offiziere, die zu Fuß unterwegs waren. Dann hielt mein Vater an und lud den Offizier auf Russisch zur Mitfahrt ein. Meine Mutter musste den Beifahrersitz räumen und zu uns Kindern in den fensterlosen Laderaum krabbeln, in dem es auch keine Sitze gab. Das gefiel ihr überhaupt nicht. Erst viel später habe ich begriffen, dass mein Vater fast immer irgendetwas im Auto transportierte was unerlaubt war und zu Komplikationen führen konnte. Bei deutschen Kontrollposten sagte er einfach: „Das gehört dem Russen.“ Viele winkten auch das Auto einfach durch, weil ein Russe neben dem Fahrer saß. Wir hörten als Kinder auch oft von betrunkenen Russen, die in der Stadt am Abend randalierten. Das waren in der Regel einfache Mushiks.

Ich selbst habe es nie gesehen, kenne aber die Erzählungen davon, dass sie von ihren eigenen Leuten ganz fürchterlich verdroschen wurden und dann nach dem Prinzip vier Mann vier Ecken in hohem Bogen auf einen LKW geschmissen wurden. Jedenfalls ist mir noch erinnerlich, dass man, wenn ein Russe zudringlich würde, ganz laut rufen sollte: “Ich gehen Kommandantura“.

Als meine Eltern in diesen Jahren einen Hund anschafften, damit wir Kinder einen Spielgefährten haben sollten, wurde er kurz darauf in der Puschkinallee von einem Russen-LKW überfahren. Der kam mit hoher Gescwindigkeit um die Ecke gebraust, die Bremsen quietschen laut und irgendwie war Chaos. Meine Muttern nahm uns an die Hand und wir mussten weitergehen. Unsere Eltern wollten, dass wir vom Geschehen sowenig wie möglich mitbekommen sollten. Später hörte ich, wie mein Vater meiner Mutter erzählte, dass er sich von einer Anwohnerin einen Spaten geborgt und den Hund neben der Straße auf dem Kapellenberg eingegraben hatte. Das war Rüpel, er war nicht lange bei uns.

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Gastbeitrag von Ursula Demitter: Ein Leben in der DDR – Kindheit

Ursula Demitter aus Potsdam ist 67 Jahre alt, lebte und arbeitete in der DDR. Unter anderem bei der DEFA. Heute gibt sie Nachhilfeunterricht und schreibt hin und wieder ihre Erinnerungen von damals in Textdokumente. Da ich ohnehin ein großes Interesse an DDR-Biografien des Alltags habe und möchte, dass derartige Erinnerungen nicht auf irgendwelchen Festplatten verschimmeln und irgendwann einfach den Tod einer Festplatte sterben, packe ich die Texte von Ursula ab jetzt hier in unregelmäßigen Abständen rein. Ihr erster Text sammelt Erinnerungen aus ihrer Kindheit.

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(Foto: Richard Peter, unter CC von Deutsche Fotothek‎)

Meine früheste Erinnerung liegt kurz bevor ich drei wurde. Unsere Oma gratulierte meiner Kusine zum achten Geburtstag.
Wir waren immer zu viert: Meine vier Jahre ältere Schwester Helga, mein drei Jahre älterer Bruder Jörg, die Kusine Edeltraut und ich, das Urselchen.

In meiner Erinnerung lungerten wir an diesem Tag im Treppenhaus herum und wussten nichts rechtes mit uns anzufangen. Es muss ein Sonntag gewesen sein, sonst hätten die größeren Kinder in die Schule gehen müssen. Unsere Familie wohnte in der Mittelstraße im Potsdamer Holländerviertel.

In der kleineren Wohnung links des Flures wohnte Oma Anna mit Opa Eduard. Wir hatten in der Mitte eine lange schmale Küche, deren Fenster zur Straße lag. Daneben gab es eine großes Wohnzimmer in dem auch meine Eltern auf je einer Couch schliefen. Im Zimmer dahinter befand sich unser Schlafzimmer. Meine Geschwister schliefen im Ehebett der Eltern. Ich schlief die ersten Jahre in einem Gitterbett, später zog ich ins Ehebett um und mein Bruder bekam eine Couch die quer zu unseren Füßen stand. Diese Liegestatt war so stramm gepolstert, dass sie sich nach oben wölbte, wenn keiner darauf lag. Wir nannten sie deshalb „den Walfisch“.

Während die Leute in den anderen Häusern der Straße noch Plumsklosetts hatten, besaßen wir eine richtige Toilette mit Wasserspülung. Mein Vater der Klempnermeister war, hatte für seine Familie diese Annehmlichkeit gebaut. Es war einfach ein Bretterverschlag vom Treppenhaus abgeteilt worden. Da ich noch ziemlich klein war und auf dem Weg zum Klo oft den Lichtschalter nicht fand, kam es vor, dass ich im Dunkeln hin und wieder die Treppe heruntergefallen bin. Das gab natürlich ein Heidengebrüll.

Überhaupt hatte ich ziemlich früh herausgefunden, was man mit Brüllen alles bewirken konnte. Wenn es Streit gab oder ich fand, dass die Älteren mich schlecht behandelten schrie ich aus Leibeskräften. Kam dann ein Erwachsener und fragte nach dem Grund, sagte ich scheinheilig:“ Ich bin nur hingefallen.“ Zum Dank dafür, dass ich nicht gepetzt hatte, mussten die Großen mich nun mitspielen lassen oder mich auf ihre Abenteuer rund um die Häuserblock mitnehmen, was sie auch taten.
In unsere Küche gab es einen Gasdurchlauferhitzer, so dass wir immer warmes Wasser hatten. Kam ich abends vom Spielen nach Hause, musste ich zum Waschen auf einen Hocker steigen, nacheinander einen Fuß ins Waschbecken setzen und dann schrubbte meine Mutter meine Knie mit einer Bürste, manchmal sogar mit Bimsstein.

In unserer Küche gab es eine Gaslampe. Mein Vater hatte diese zusätzliche Lichtquelle eingebaut, weil es zu dieser Zeit sehr oft Stromsperre gab. Dann war die ganze Straße dunkel, nur in unserer Küche brannte munter ein helles sehr weißes Licht. Die Gaslampe durften nur Erwachsene anzünden. Der Mechanismus funktionierte mit einem sogenannten „Strumpf“. Das war eine Art längliches Säckchen aus nichtbrennbarem Material. Daran hielt man ein Streichholz, drehte den Hahn auf und – flup gab es Licht. Den Gasstrumpf durfte man nicht berühren, dann fiel er in sich zusammen. Das war dann eine große Untat, denn der Gasstrumpf musste für viel Geld aus Westberlin geholt werden.

Oft saßen wir bei Stromsperre in der Küche, hatten Kerzen angezündet und meine Eltern sangen mit uns Volkslieder, damit wir am Tisch sitzen bleiben sollten und in der dunklen Wohnung nichts kaputt machen konnten. Man wusste nie, wie lange die Stromsperre dauern würde. Mal war es eine halbe Stunde, mal waren es zwei. Wenn dann plötzlich das Deckenlicht wieder anging und uns in seiner ungewohnten Helligkeit fast blendete, jubelten alle laut .

In Potsdam war eine große Zahl der sowjetischen Streitkräfte stationiert. Man sollte sich als Kind vor ihnen in acht nehmen und sich möglichst von ihnen fern halten. Auch sollte man von niemandem etwas annnehmen. Es wurde behauptet, manche wollen die Kinder vergiften. Die Nachbarsfrau, die Straßenbahnschaffnerin im Schichtdienst war, musste immer über den Bassinplatz rennen, damit sie keiner wegfangen konnte – oder so ähnlich. Mir wurden diese Geschichten nicht wirklich erzählt, aber mitbekommen habe ich sie schon.

Einmal führ ich mit meiner Schwester in der Straßenbahn. Es waren uralte klapprige Wagen mit einem hinteren offenen Perron. Ein großer dicker russischer Offizier wurde auf mich aufmerksam. Er griff in die Tasche, holte ein großes Stück Zucker heraus, das in ein Banderole eingewickelt war und hielt es mir hin. Ich machte mein finsterstes Gesicht, schüttelte heftig den Kopf und verschränkte meine Arme auf dem Rücken. Der Russe lachte, drückte meiner Schwester den Zucker in die Hand und sagte: “Gieb.“ Zu Hause wurde der Vorfall heftig diskutiert und ich hatte natürlich alles falsch gemacht.

Als die DDR gegründet war, wurde es politisch lebendig in unserer Straße. Während wir beim Abendessen saßen, kamen schon mal zwei „Aufklärer“ in unsere Küche und erklärten uns die neue Zeit. Niemand sollte nach West-Berlin fahren und dort sein Geld in Westgeld umtauschen. Nur weil es dort „Wuggi-Wuggi- Schuhe mit dicken Kreppsohlen gab. Darauf sollten wir verzichten, denn das schädigt unseren jungen Staat. Meine Mutter sagte nichts, aber in solchen Momenten sah sie immer aus, als hätte sie Zahnschmerzen.

Noch schlimmer fand sie den Stadtfunk. Noch immer hatte nicht jeder Haushalt ein Radio. Die hatte man beim Einmarsch der Russen unter Androhung schlimmster Strafen , alle abgeben müssen. Also bekamen wir nach russischer Sitte einen Stadtfunk.

Schräg gegenüber von unserem Haus befand sich an der Ecke Mittelstraße/Benkertstraße die Gasstätte „Zum Fliegenden Holländer.“ Die gibt es dort heute noch.

Jeden Sonntag früh um sieben plärrten aus dem Lautsprecher in übelster Tonqualität alle möglichen Kampflieder. Am häufigsten wurde gespielt: „Spaniens Himmel breitet seine Sterne..“ Auf diese Art habe ich das Lied sehr schnell gelernt. Aber meine Mutter knurrte irgendwas von „unmöglichem Lärm..“ und schloss wütend die Fenster.

Mein Vater hatte ein Auto. Das war was ganz besonderes. Alle privaten Autos hatte man entweder in den letzten Kriegstagen an Hitler – oder nach dem achten Mai an die Russen übergeben müssen. Dennoch: Mein findiger Vater hatte schon kurz nach dem Krieg, es mag 46 oder 47 gewesen sein, wieder ein Auto. Das ist eine spezielle Geschichte, ein Abenteuer und reichlich kriminell.

Es war die Zeit der allgemeinen Hamsterei. Alle aus der Stadt fuhren aufs Dorf und verhökerten was irgend einen Wert hatte an die Bauern : Für Essbares. Mein Vater hat solche Fahrten für Bekannte und Freunde erledigt. Es war gefährlich, weil verboten. Aber es fiel immer was ab.

Wir hatten als Familie das Glück, dass wir bäuerliche Verwandte in den havelländischen Dörfern hatten. Von dort bekamen wir zu Essen. Es war nicht viel, aber schon ein Sack Kartoffeln war damals ein unschätzbarer Wert. Die neue Administration stellte überall kurz geschulte Hilfspolizisten ein. Zwischen den Landkreisen waren Kontrollen eingerichtet. Man wollte die Bauern zwingen, alles abzuliefern und durch die Verwaltung gelenkt, der hungernden Bevölkerung gerecht zukommen zu lassen. Das funktionierte natürlich nicht, denn wo ein Mangel ist, da ist kriminelle Energie. Ich erinnere mich, wie wir an einem Sonntagabend von den Verwandten im Dorf Roskow, 12 km von Brandenburg entfernt, nach Hause, nach Potsdam, aufbrachen. Mein Vater besaß einen alten Aero, eine Automarke, die es heute nicht mehr gibt. Es war ein Lieferwagen mit langem Heck. Vor der Abfahrt wurde ein Sack Kartoffeln auf die Ladefläche geschüttet. Darauf wurden Decken gelegt. Dann mussten wir drei Kinder uns darauf legen. Es wurde uns eingeschärft: „Wenn ein Kontrolle kommt, müsst ihr fest schlafen, ihr dürft die Augen nicht öffnen. Und genau das passierte. Die Hilfspolizisten leuchteten mit Taschenlampen in das Auto. Da lagen drei Kinder und schliefen tief und fest. Man verzichtete darauf, das Auto weiter zu untersuchen und so brachten meine Eltern ihre Konterbande sicher nach Hause.

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Das Kassettentonbandgerät „KT 100“ – Für Party und Diktat

Zu Beginn der 70er kamen Kassetten dann auch endlich in den Haushalten der DDR an. Die Zeitschrift „Jugend und Technik“ erklärte den Lesern im Jahr 1971 die Vorteile von Kassetten im allgemeinen und die des Kassettentonbandgeräts „KT 100“ im besonderen. Es war das erste tragbare Kassettengerät der DDR und kostete 635,00 Mark.


(klick für in groß, via Ostprodukt)

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Doku: Rostock von ganz unten (1993)

Die Qualität ist unterirdisch, die Doku dennoch sehr sehenswert. Sie zeigt jene, die damals wohl nicht ganz zu Unrecht das Prädikat „Wenderverlierer“ bekamen.

Ganz unten in Rostock hält die Kamera auf die nackte Realität in den noch nicht sanierten Straßenzügen rund um Budapester, Waldemarstraße und Ulmenmarkt. Nicht lange nach der Wende, noch mit reichlich DDR in der Substanz. Einschließlich der Protagonisten. Als alter KTV-Bewohner kennt man einige ‚Stadtgestalten‘ noch aus dem Straßenbild der 80er und 90er (inzwischen hab ich seit Jahren keinen von ihnen mehr gesehen). 17 Jahre später muten die Aufnahmen absolut bizarr, bisweilen grotesk an. Doch es war der simple Alltag – „jaja so sieht dat aus un nich’n bisschen anners“…

(Stadtgestalten)

Der Fernsehjournalist Peter Gatter nahm u.a. Anfang der 80er Jahre an der Besetzung der Danziger Werft durch die Solidarnosc teil und konnte die ersten Fernsehbilder davon in den Westen schmuggeln. … Ab dem 1. August 1992 war er Fernsehchef und stellvertretender Direktor des NDR-Landesfunkhauses Mecklenburg-Vorpommern in Rostock. Die Reportage „Rostock ganz unten“ muss damit zu seinen ersten Projekten in dieser Funktion gehört haben. Peter Gatter starb 1997 im Alter von nur 54 Jahren.


(Direktlink, via Marten)

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Doku: Szenen Aus Einer Hauptstadt – Ost-Berlin 1978

Schöne und auch aufschlussreiche Einsichten ins Ost-Berlin der späten 70er Jahre. Lief irgendwann mal für die ZDF-Serie 30 Jahre später. Wahrscheinlich also irgendwann im Jahre 2008. „Dirk Sager mit einem wunderbaren Panorama des Lebens im Ost-Berlin des Jahres 1978. Schrebergärtner, Militärparaden, Centrum-Warenhaus, Bauarbeiter, Gemüsemarkt Pankow, Interviews mit einer werdenden Mutter, den Schriftstellern Klaus Schlesinger und Dieter Schubert, der Liedermacherin Bettina Wegner.“ Toll².

http://youtu.be/jYcIczpkYyc
(Direktlink)

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Ost-Berlin, 1969

Schöne Footage von William Noack, der 1969 mit seinem Vater nach Ost-Berlin fuhr, wo sie mit zwei Super-8 Kameras diese Aufnahmen machten. Leider sind diese 10 Minuten gänzlich frei von Sound. Ich habe hier aber gerade sowieso meinen „Liegestühlchen„-Mix laufen und der passt dazu ganz wunderbar. Schönes Zeitdokument.

July 28, 1969 – After stopping at Checkpoint Charlie for a couple of hours, entered East Berlin, Hauptstadt der D.D.R., where we took tour. Saw Hitler’s Bunker Mound, the Berlin Church bombed out by the Americans, Unter den Linden, Humboldt Universität.


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Doku: Die Trabant-Story

Ich weiß noch, wie froh mein Vater damals war, als er irgendjemandem seine Abmeldung für einen neuen Trabant abkaufen konnte. Es war nunmal nicht so, dass man, wie man das heute ja tut, in irgendein Autohaus gehen und die Kiste kaufen konnte. So lief das nicht. Entweder man kaufte irgendwo einen Gebrauchtwagen, eine Kiste mit Devisen über den Genex-Katalog oder auf irgendwelchen ominösen Umwegen einen Mazda oder einen Golf. Fahrer dieses Modelle allerdings waren einem immer etwas suspekt, sie waren diese Leute, mit denen man nicht sonderlich lange reden wollte, sie fragten immer sehr viel, wenn ihr versteht.

Einen neuen Trabant kaufen hieß also: sich anmelden und dann 10 Jahre warten. Mindestens. Mein Vater hatte also das unsagbare Glück, einem diese Anmeldung abkaufen zu können, die schon über zehn Jahre alt war. Er freute sich wie Bolle und wartete nun quasi täglich auf die Meldung, dass Dingen auch kaufen und abholen zu können. Im Mai 1989(sic!) kam diese tatsächlich und meine Mutter ging mit mir zu Sparkasse, lies sich dort 100 100-Mark scheine auszahlen und die beiden kauften diese Kiste für knapp 10.000 Mark. Es war ein Trabant 601 Universal S de Luxe und er war „Gletscher-Blau“. Eine große Freude für alle.

Kein Jahr später – die Mauer war gefallen – schob er die Kiste ab, auf die er so lange gewartet hatte und tauschte sie gegen einen 200er Benz der W123er Baureihe, diesen Hier, ein altes Taxi. Mit Kunstlederausstattung. Sehr geile Karre. Finde ich auch heute noch. Die „Pappe“, die ja genau genommen gar keine war, ging an den älteren Bruder, der sie etwas später erst auf’s Dach und dann in die Presse legte.

Alt ist er nicht geworden, der Familientrabbi, ein bisschen geliebt haben ihn trotzdem alle. Und die Sache mit dem Kotflügel, der mal getauscht werden musste und uns zu einer halben Weltreise zwang, ist eine ganz andere Geschichte.

Das hier ist die Story des Autos der DDR. Ich fand die gut. So war das nämlich.

Der Trabant prägte den Alltag des DDR-Lebens und wurde zum Synonym für den Mangel. Niemand ahnte, dass der „Trabi“ genau das wurde, was ein gewiefter Werbetexter formuliert hatte: Trabant – dein treuer Begleiter. Gehasst und geliebt im Alltag der DDR, hält er bis heute eine große Fan-Gemeinde in Trab. Der Film erzählt unterhaltsame lebensnahe Geschichten rund um den fahrbaren Untersatz aus dem Osten.

[…]
Interessiert und mit riesiger Erwartung wurde der Kleinwagen, die ostdeutsche Antwort auf Goggomobil, Lloyd und Isetta, von den Bürgern aufgenommen. Die Besitzer der Nullserienfahrzeuge, die plötzlich auf den Straßen erschienen, wurden umringt und ausgefragt. Als preiswert, robust und leistungsstark feierte ihn die Werbung. Und dabei blieb es über viele Jahre: Der Trabant war es, der die Menschen trocken zur Arbeit brachte, der als Arbeitspferd und Transporter diente und die ganze Familie in den Urlaub kutschierte.

Der Film erzählt Geschichten von gescheiterten Versuchen, dem Trabant ein zeitgemäßes Design und eine moderne Ausstattung zu geben. Geschichten von kleinen Veränderungen, die in der Regel zu Aufpreisen führten, und Geschichten von fantastischen Produktionssteigerungen. Langjährige Trabi-Besitzer, aber auch Menschen, die nie einen haben wollten, erzählen, wie der Trabant den Alltag des DDR-Lebens prägte und zum Synonym für den Mangel wurde.

http://youtu.be/tjlEbGRZDXc
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