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Als ich ihn das erste Mal traf war er 18, das muss so sieben Jahre her sein. Er co-veranstalte in einem Jugendhaus einer mittelgroßen Stadt in PM ein Freestyle Battle und lebte Hip Hop. Er rappte selber mit, außer Konkurrenz. Bis heute für mich einer der besten Freestyle MCs, den ich je gehört habe. Auch wegen den Texten, die immer Inhalt hatten, und der Gesellschaft den Mittelfinger zeigten, ohne nur vulgär zu sein. Er machte Hip Hop, den ich hören konnte, was was heißen will. Er war eine echte Feiersau, trank aber nur Milch. Milch! Während andere Künstler flaschenweise Suff für einen Auftritt ordern, wollte er immer nur Milch. Vollmilch mit 3,5% Fettanteil.

Neben diesem Abend, machte er auch sonst in Hip Hop. Das machte er gut, hier und da eine gut besuchte VA, Features für andere Rapper, die auf CD landeten, Nachwuchsförderung und sonst alles, was irgendwie mit dem Kulturgut Hip Hop zu tun hatte.

Wir redeten sehr lange miteinander, versprachen uns, uns gegenseitig auf den eigenen Veranstaltungen des anderen zu besuchen, was er einhielt – ich nicht, wollten mal „was zusammen machen“, was man mit jedem verabredet der Musik macht und man selber dieses auch tut. In 99,6% bleibt es bei dieser Verabredung.
Dann sahen wir uns ewig nicht.

Irgendwann zwei Jahre später trafen wir uns in Rehbrücke am Bahnhof, redeten, ließen unsere Züge fahren, tranken Kaffee, rauchten, redeten noch mehr. Über Hip Hop in Pdm, über Techno, über die Labels, auch unsere, über das Leben und überhaupt. Er machte was, ich machte was. Dann sahen wir uns wieder ewig nicht, verabredeten uns nie, was vielleicht mal ganz gut gewesen wäre. Dem Austausch wegen.

Vor zwei Jahren circa sahen wir uns das letzte Mal, auch auf dem Bahnhof. Er studierte jetzt, etwas, was er immer studieren wollte. Er sah gut aus und zufrieden. So wie man eben aussieht, wenn man in seinem Leben Dinge macht, die man gerne tut. Er rappte noch hin und wieder, machte Partys, jobbte für ein Stadtmagazin und beklagte den Untergang des Deutschen Hip Hops. Es war alles wie immer. So, wie man denkt, dass alles wie immer sei, weil es immer so war und man sich nicht vorstellen kann, dass irgendwas anders sein könnte.

Ich dachte hin und wieder an ihn, was er macht, wie es ihm dabei geht und machte mir keine Sorgen. Ich wusste, er tut was Gutes, das reichte mir. Es ist nicht mein Sound, den er repräsentierte, aber gerade deshalb fand ich das was er machte so bemerkenswert: Mir gefiel, dass er in Hip Hop machte, den ich mögen konnte. Und das will was heißen. Er würde es damit weit bringen, davon war ich überzeugt.

Heute stand er in der Croissanterie vor mir und sah ganz anders aus, als ich mir jemals vorzustellen gewagt hätte. In einem Anzug, nicht dem besten. Ich hatte, ohne es zu wollen, sofort meinen ach-du-Scheiße-Blick im Gesicht, der sich mit der innerlichen was-ist-dir-denn-passiert-Frage verbündete. Ich glaube, er spürte das. Das tat mir leid. Allerdings war ich wirklich ziemlich geklatscht. Er sah schlecht aus. So, als würde er nicht mehr nur Milch trinken. Ich fragte ihn natürlich was er macht, wie es ihm geht, ihm ergangen ist und ob er noch Zeit auf einen Kaffee und eine Zigarette hätte. Hatte er und erzählte mir, dass er sein erstes Studium, das, was er unbedingt machen wollte, abbrechen musste. Des Geldes wegen, es ging nicht mehr. Danach hatte er es mit BWL versucht, was er abbrechen musste. Der Gesundheit wegen. Jetzt macht er in Versicherungen, als Azubi. Er erzählte das wie jemand, der nicht hinter dem steht, was er macht. Der das als Notwendigkeit ansieht, als Pflichterfüllung. Ich glaube, es geht ihm damit nicht so gut. Er fragte auch, was ich mache, worauf ich sagte: „Alles noch wie damals. Macht Spaß, das Geld reicht zum Leben, ich mache meinen Job sehr gerne und wenn es geht auch noch sehr lange“. Ich hatte das Gefühl, das er mich darum ein beneidete, obwohl „beneidet“ dafür wohl das falsche Wort ist. Und überhaupt kann ich mich darin auch täuschen. Ich hatte einfach das Gefühl, dass auch er gerne einen Job hätte, von dem er sagen kann, dass er diesen gerne macht. Mit voller Überzeugung sagen kann.

Ich sagte ihm, dass es auch schlechter ginge. Weil mir irgendwie nichts besseres einfiel, so überrascht war ich von dieser Situation. Das es auch besser ginge verkniff ich mir. Ich glaube, das weiß er selber.

Kurz redeten wir über sein musikalisches Engagement. „Ich habe aufgehört zu Rappen, ich höre keinen Hip Hop mehr“, sagte er so, als hätte er damit kein Problem. Das tat mir leid irgendwie. Auch für ihn, er war einer von den Guten, von denen es so viele nicht gibt. „Ich bin jetzt 25, ich höre nur noch Rock.“ Ich habe mich getäuscht, als ich noch sicher war, dass er es mit seinem Hip Hop noch weit bringen würde.

4 Kommentare

  1. zeckenhorst27. April 2009 at 10:41

    ja wer is er denn???

  2. spacecake27. April 2009 at 10:59

    manche leute nennen das wohl „erwachsen werden“. ich finde es traurig.

  3. Saint27. April 2009 at 11:05

    @spacecake: So geht es mir auch, weshalb der
    @zeckenhorst Name gar keine Rolle spielt. Es gibt unzählige dieser Biographien. Keine dieser kam mir bisher so nahe.

  4. zeckenhorst28. April 2009 at 17:06

    naja…sooo tragisch find ich die ganze geschichte nun net. immerhin hat er noch n kopf und beine …

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