Das komische Fühl, wenn du deine Mutter das erste mal im Pflegeheim besuchst, wo sie jetzt ist, weil es alleine einfach nicht mehr ging. Weißt du, weiß sie selber auch. Dieser fiese Kloß im Hals, der Tränen fließen ließe, wenn du nicht gerade im Fahrstuhl des Heimes stehen würdest.
Gänge wie im Hotel, nur heller. Gerüche wie in keinem Hotel. Du bist hier halt im Pflegeheim, Digger. Fuck!
Alles wie immer im letzten Jahr: sie komplett neben der Spur. Schwer depressiv. Von Panikattacken gequält. Angstkrank. Abwesend, komplett mit sich selbst beschäftigt; 24/7.
Dann ein so seltenes Lächeln, das ganz kurz über ihr Gesicht fährt, als sie hört, das unser Hund sieben Welpen bekommt. „Eure Paula bekommt Kinder? Hat die sich behüpfen lassen?! Hihi. Behüpfen… Hihihi.“ Ein kurzer Moment der Freude. Für sie, für mich. Mehr Platz für Freude ist da gerade nicht.
Wir haben ihr vor ein paar Monaten eine neue Bude besorgt und eingerichtet. In der Hoffnung, dass das alles noch mal irgendwie besser werden würde. Für sie und alles für sie. Weil sie so oft in ihrem Leben der Arsch für alle war. Bis sie meinen Vater kennenlernte, der alles für sie war, wobei sie alles für ihn war. Die beiden haben mich zu lieben gelehrt und waren dabei großartige Lehrer. Das beste Team der Welt. Bis er vor 10 Jahren viel zu früh gehen musste.
Seit dem ging es für sie immer tiefer in einen dunklen Tunnel, denke ich mir so, wobei ich kein Psychologe bin. Wir haben Vieles versucht, dass weitere Leben für sie lebenswert zu machen. Aber ihre Krankheit lässt dafür leider wenig Raum.
Wir haben heute damit begonnen, uns von der letzten Wohnung, die wir eben erst vor ein paar Monaten für sie neu gesucht und eingerichtet hatten, zu verabschieden. Und da wohnt halt immer noch der Rest ihres Lebens, auch wenn dieses gemeinsam mit ihr eigentlich seit Monaten in irgendwelche Krankenhäuser umgezogen ist.
Sie ist in den letzten 10 Jahren, nach dem Tod meines Vaters, sechs Mal umgezogen. Immer mit dem Gefühl, jetzt endlich mal irgendwo ankommen zu können. So ohne ihn. Das blieb ihr verwehrt. Vielleicht war sie ja nur bei ihm überhaupt mal irgendwie und irgendwo angekommen – und dann war er weg. Innerhalb von 14 Tagen. Einfach nicht mehr da. Nachdem er sie über die derbste Zeit ihres Lebens gepflegt hatte. Krebs, das Arschloch, hatte bei ihr angeklopft und er hatte sie über die Jahre wieder halbwegs gesund gepflegt. Alles dafür aufgegeben. Am Ende womöglich sogar auch sich selbst. Es war Liebe.
Sie schien sich dann irgendwie damit arrangiert zu haben. Lebte ihr Leben. Allein. So auf Hippie-Basis. Bunte Klamotten, Buddha, Kunst und so, Apartment hier und da, dies und das. Gut leben halt. Fand ich gut. Vor 18 Monaten fuhr sie noch mit der Bahn durch Deutschland, mit dem Bus durch Berlin, besuchte Freunde, gönnte sich all das, was sie sich in ihrem Leben verdient hatte, rief zu Geburtstagen an, machte sich Sorgen über Dinge, die nicht ihre Sorgen waren. Was sie schon immer tat, und was wohl aber auch zu ihrem Krankheitsbild gehört. Sich die Sorgen der Anderen machen.
Jetzt soll sie irgendwo dort ankommen, wo sie vorher nie war. Wo sie vorher nie irgendwen kannte. Sie müht sich, glaube ich. Sieht sehr viel besser aus als in dem letzten Jahr ihrer Krankenhausaufenthalte.
„Das ist alles so schwierig“, sagt sie, „Ich bin gerade so durcheinander“, sagt sie auch. Das sagt sie seit Monaten. „Schwierig, durcheinander, alles scheiße!“ Und ich nehme das halt so mit. Weil sie Recht hat. Weil das alles ziemlich beschissen ist. Für uns alle. Am beschissensten aber und zweifelsohne ist das alles für sie. Sie gibt ein, ihr, Leben auf.
Als sie meinte, dass die Leute dort „herzlich“ zu ihr sein würden, „alle sehr nett“ und so, war es ganz kurz okay für mich. Pflegeheim, Doppelzimmer, WG-Style. Endlich mal ankommen können, nach all dem. Ich wünsche es ihr. So sehr.
[Eigentlich sollte das nur ein Tweet werden, der aber viel zu lang wurde. Dann ein privater FB-Beitrag, der aber eigentlich nicht privat sein sollte. Jetzt halt so. So wie früher: Herzleben zu Text machen. Aufm Blog. Und bitte, bitte geht mir nicht mit irgendwelchen Ratschlägen auf den Sack. Die kann ich gerade so gar nicht gebrauchen. Ratschläge, nämlich, sind immer ein eher schlechter Rat.]
*hug*
Keine Ratschläge, aber viel Kraft und alles Gute für Dich, für Euch!
.
ach scheiße man. davor grauts mich auch ein wenig. die mutter leiden zu sehen …
kann man nur hoffen, dass buddha & co e.V. ihr eine bereicherung sein wird. wenn der mensch im leben fehlt …
Nun, ich pflegte meine Mutter seit 2005 aufgrund mehrerer, letztendlich letaler Krankheiten. Im Mai diesen Jahres war es dann soweit, nach kurzem Aufenthalt im KH. Ich musste sie im August 2011 in einem Pflegeheim abgeben und feststellen, dass das Personal nicht wirklich auf Demenz eingestellt war. Kurzum. sie hat aufgrund ihrer zerebralen Rückbildung dort ziemlich viel Verwirrung gestiftet. Nun hoffe ich, dass sie ihren Frieden fand und nicht länger nachts vor meinem Bett steht….!
lol
gibts da nicht auch was von ratiopharm?
Is genau das Thema, das mir zur Zeit sehr zusetzt. Hab sehr schlucken müssen, als ich Deinen Text gelesen habe. In einer Woche werd ich mit meiner Mutter Ihren 70. Geburtstag feiern und bin unendlich dankbar dafür, dass mein Dad mit Ende 60 noch an Ihrer Seite ist. Aber ich weiss, das wird nicht mehr lange so sein und das macht mich grade fertig. Life is a fucking bitch at the end of it. *diraufdieschulterklopf*
?
Keine Ratschläge auch von meiner Seite. Ich bin selber mit einer sehr ähnlichen Situation ratlos. Das schlimmste ist das nicht mehr miteinander reden können, dieses Unverständnis von Sprache und das von der Person, die dir das Reden beigebracht hat. Todtraurig, das.
*ebenfallsaufdieschulterklopf*
♥
Hach… – danke!
Ich kommentiere hier zum ersten Mal, obwohl ich seit Jahren lese. Ich wünsche dir viel Kraft
wow. danke.
Danke, dass du deine Gedanken und Gefühle mit uns Teilst.
Hab jetzt Tränen in den Augen und geh ins Bett.
So viel zu Bedenken.
Danke für’s Teilen deiner Erfahrungen, Empfindungen. Ich werde in einigen Jahren mit meiner Mutter wohl in eine ähnliche Situation geraten – paranoide Schizophrenie. Bleibt mir nur dir Kraft zu wünschen und mir selbst zu vergegenwärtigen das ich und meine Mutter noch ein paar Jahre haben, wenngleich auch diese nicht mehr ohne Anstrengung sind. Es mag zynisch klingen, ist aber aufrichtig gemeint: Alles Gute – für euch beide.
Danke für deinen ehrlichen Beitrag, so läuft es halt leider im echten Leben, in der eigenen Familie.Die eigene Mutter. Denk immer dran was Deine Eltern dir mitgeben haben und lebe das weiter. Wir kommen und gehen. In 200Jahren kennt uns keiner mehr, ausser wir sind berühmt oder haben unsere Gedanken/Essays in die digitale Welt geschickt (selbst dann ist es fraglich). Also lebe den Augenblick und kümmer dich um deine Welpen! Love you, Peace.
P.s.: ich möchte momentan nicht in deiner Situation stecken. Aber garantiert kommt diese jeden von uns.
Das treibt einen die Tränen in die Augen.
Danke für den Text.
Viel Kraft!
Danke fürs Teilen. Macht nachdenklich.
Euch viel Kraft!
Auch von mir ein Dankeschön fürs Teilen. Werde mich mal wieder bei meinen Eltern melden.
Meinen Respekt, ein großartiger Text. Ich wünsche euch alles Gute, Kraft und Frieden für Mama.
Ist schon eine Kunst, dass du mich am Sonntag Mittag zum weinen bringst, während der Kurze und ich grade den 5 Freunden lauschen und die Sonnenstrahlen in die Küche strahlen….
Felix,
samma, was isn bei dir so kaputt…?
deine mutter ist dir wohl völlig wumpe…
ronny, danke für solche beiträge! wünsch euch viel kraft!
Lese den Beitrag grade – kurz bevor ich selbst zur Nachtbereitschaft in ein Pflegeheim aufbreche.
Hab etwas Pipi in den Augen. Wünsche viel Kraft
Du bist toll. Und ich weine, aus Gründen. Von Herzen viele Grüße.
Danke für das Teilen deiner berührenden und intimen Gedanken!
Alles gute euch beiden!
Ich denke , dass kann jeder von uns (zumindest ab einem gewissen Alter) nachvollziehen. Ich wünsche dir viel Kraft.
Ratschläge sind auch Schläge.
Danke fürs Teilen und viel Kraft dir und deiner Familie.
kraft und so.
… es gab mal letztes Jahr, womöglich sogar hier, einen link zu einem Grafiker der die erlebten und noch zu erlebenden Dingen des Lebens (…wie oft war ich schon am Meer, wie oft werde ich es noch sehen/ …wie oft feiere ich noch mit meinen Liebsten zusammen Weihnachten und so ne Sachen…) ziemlich einfach als Strichliste dargestellt hat.
Das hat mich nachhaltig beeindruckt, weil mir plötzlich die Endlichkeit vor Augen geführt wurde, anhand einer banalen Stichliste…
Spätestens wenn ein naher Mensch stirbt, wird einem immer die Endlichkeit des Lebens bewusst….(>möglicherweise Ratschlag… vielleicht auch nur die Wahrheit..).
…Tränen auch hier nach deinem Text Ronny….mann du machst einen fertig!…aber im Guten!
all the best…
Ich wünsch euch hiermit auch alles Gute und viel Kraft! Auch solche Situationen kann man bewältigen!
[…] Als ich meine Mutter zum ersten Mal im Pflegeheim besuchte, davon erzählt Ronny. […]