Babelsberg. Ich muss nach Bornstedt. Irgendwie. Denkbar schlechte Vorraussetzungen um den nächtlichen Heimweg in weniger als zwei Stunden hinter sich zu bringen. Aber es muss ja. Erstmal zum Lutherplatz. Da fährt allerhand, zumindest tagsüber. Könnte man Glück haben. Aus dem Liniennetzplan werde ich nicht schlau, wurde ich noch nie. Der für die Nachtverbindungen ist noch verwirrender, als es der für Tags ohnehin schon ist. Nach zwei Minuten gebe ich auf. Da steige ich nicht hinter, das bringt mich nicht nach Hause. Kann sein, dass es daran liegt, dass ich ein, zwei, drei Wodka zu viel hatte aber das tut ja nichts zur Sache. Ich überlege kurz, warum ich eigentlich nicht mit dem Rad gefahren bin. Dann bräuchte ich 20 Minuten und wäre im Bett. Ich schiebe die zuvor getroffene Entscheidung darauf, dass ich auch vorher schon wusste, wie der Abend enden würde und ich dann auch mit dem Fahrrad nicht wirklich gut voran gekommen wäre. Ist auch egal jetzt, muss ja trotzdem. Da kommt ein Bus. Nachtbus Linie irgendwas. Der Plan sagt: Hauptbahnhof, Alter Markt, Platz der Einheit. Das bringt mich wenigstens schonmal auf die andere Seite, über den Kanal. Du bist mein Bus, Baby. Der Fahrer lächelt. Ich weiß nicht genau, wie ich das deuten soll und setze mich hin. Der Bus ist leer, wie er leerer nicht sein könnte. Hinten sitzt ein Mann mit Kappe und schaut verträumt aus dem Fenster. Als ich beim T das Haus verlassen hatte, habe ich einen Mix angemacht, den er frisch fertig hatte. Länge: 01:00.12. Ich setze mir in Kopf, mit spätestens dem letzten Takt dieses Mixes meine Haustür aufzuschliessen, wohlweißlich, dass das ziemlich unrealistisch ist. Der Bus fährt auf die Nuthe-Schnellstraße und dann über den Humboldtring. Was soll der denn der Quatsch? Dann hätte ich auch vorne lang laufen können und wäre schneller gewesen. Am Hauptbahnhof hängen über den Oberleitungen, die die Strassenbahnen mit Strom versorgen zusätzlich noch andere, quer über die Strasse gespannte, Stahlseile. An denen hängen große Lampen. Sie ersetzen hier offenbar die klassischen Strassenlaternen. Davon gibt es keine. Wenn es windig ist, wiegen sich diese Lampen im Wind und die Strassen beginnen dadurch lebendig zu werden. Es ist sehr windig jetzt. Alles fließt irgendwie und bewegt sich. Da kein Auto zu sehen ist, geht dieser Effekt direkt auf die Straße. Sieht irgendwie kuhl aus, finde ich. Hat was von geplanten Lichteffekten. Am Bahnhof warten einige Menschen auf irgendwelche Busse, die sie nach Hause bringen könnten: Macht euch bloß nicht all zu viel Hoffnung, dass das bei euch schneller geht, als bei mir, denke ich. Der Mann mit der Kappe steigt aus dem Bus und ich bleibe nun der einzige Fahrgast. Nach der langen Brücke sehe ich so gut wie keine Seele mehr auf den Straßen. Wie auch: heute war nicht viel los, so weit ich weiß. Platz der Einheit steige ich aus und erblicke auf dem elektronischen – quasi 2.0 – Fahrplan mein gewünschtes Ziel. Nachtbus Linie irgendwas: Kirschallee 29 Minuten. Das dauert mir zu lange, da kann ich schonmal was ablaufen von. Auf der anderen Straßenseite steht ein Taxi. Ich überlege kurz, verwerfe den aufkommenden Gedanken aber sofort wieder. Die 15 Euro gebe ich lieber Morgen aus. Es überrascht und verwundert mich zutiefst, wie wenig hier los ist: gar nichts nämlich. Ich sehe niemanden, so sehr ich mich auch bemühe. Ich laufe die Ebert-Straße runter. Vor dem „Ebert 95“ sitzt der türkische Ladenbesitzer und wartet auf die letzten – oder schon die ersten – Kunden des Tages. Das Rossini leuchtet, als sei da drin ein Staatsbanquet. Es schummelt, denn es hat seit mindestens zwei Stunden geschlossen. Ich glaube, dass ist so eine Berlin-Macke, dass immer alles in vollem Glanze strahlen muss. Wozu eigentlich, frage ich mich. Seitdem ich auf der Ebert bin, ist mir niemand begegnet, der das sehen könnte. Vielleicht haben die das auch extra nur für mich gemacht, denke ich und schiebe en Gedanken wieder fort. Tagsüber ist hier richtig was los. Im Moment aber: Totentanz total. Mir fällt auf, wie dunkel es ist, wenn man Nachts durch das Nauener Tor geht. Irgendwie grußelig. Vor dem Stadthaus sitzt ein einsamer Nachtbusreisender und wartet auf die Linie, mit der ich auch fahren würde. Es dauert aber hier auch noch 19 Minuten. Ich gehe weiter. An der russischen Kolonie wird es kniffelig. Entweder ich folge der Strassenbahnschiene, die um die Kolonie rumfährt und die, wie ich annehme, auch mein Bus fahren wird, oder ich laufe diagonal durch die Alexandrowka, um am Ende wieder auf die Linie zu stoßen. Ich tue es so. Wollte ich schon immer mal sehen, diese schönen alten Holzhäuser im Dunkel. Hinter mir kommen zwei Radfahrer. Sie fahren Mountainbikes der Marke „Penny mag es billig“, haben kein Licht, rauschen an mir vorbei und verschwinden in der Dunkelheit. Es bleiben die letzten Menschen, die ich auf meinem Weg zu sehen bekomme und es ist noch weit. Ich glaube, Potsdam ist das größte Dorf der Welt. Auch dafür liebe ich es ein bisschen. Als ich an der nächsten Strassenbahnhaltestelle ankomme, stelle ich fest, dass der Nachtbus offenbar einen anderen Weg nimmt. Scheiße. Zurücklaufen lohnt nicht, also wohl doch noch über den Campus der Fachhochschule und am Volkspark vorbei. In den Werkstätten der FH brennt schon, oder immer noch Licht. Ich überquere die Straße, um mir das genauer anzusehen. Vor mir aus dem Grünstreifen springt ein Hase und verschwindet Richtung Alexandrowka über den Asphalt. Die Werkstatt hier sieht aus, wie so eine, in der wir damals immer ESP und PA hatten. Es schüttelt mich kurz. Ich gehe weiter. Der Volkspark schläft, so wie der Rest in Bornstedt auch. Hier gibt es nichts zu sehen und nichts zu entdecken um diese Zeit, der Weg wird zäh. Irgendwo hinter dem Volkspark geht die Sonne auf und mich überkommt dieses Gefühl, was mich immer auf Festivals ereilt, wenn die Sonne aufgeht. Der neue ag könnte Großes bringen, denke ich. Ich laufe etwas schneller und stecke den Schlüssel zu den letzten Takten des Mixtapes in die Tür. Der Track ist von uns und passt bestens in diesen Morgen. Ich setze mich in die Küche, sehe, dass der Himmel immer heller wird, trinke ein letztes Bier, rauche eine letzte Zigarette.