Sven – “Nur weil es mir gut geht, heißt es nicht, dass es allen gut geht.”
Hi Sven, es ist EM in Deutschland und Du reißt Fähnchen von Autos?
Ja, gerne auch diese Rückspiegelkondome.
Wieso tust Du das?
Weil ich diesen Nationalismus nicht sehen will. Nur weil es die deutsche Nationalmannschaft ist, muss man keine Deutschlandfahnen raushängen, die für ein Land stehen in dem viel falsch läuft. Wieso nicht das Logo des DFB? Dortmundfans fahren doch auch das BVB Logo rum, und nicht das Stadtwappen.
Ist es denn eine klare Antideutsch-Haltung oder eher eine ingsesamt Antinationalistische die Du damit zum Ausdruck bringen willst?
Antinationalistisch. Ich würde mich niemals als Antideutschen bezeichnen. Ich glaube sogar, großes Glück gehabt zu haben, in diesem Land geboren worden zu sein. Woanders könnte es mir schlechter gehen.
Apropos schlechter. Um mal ein paar Klischees abzufragen. Du bist doch als Fähnchenabreißer bestimmt Sozialschmarotzer, oder?
Nein. Ich kann mich über mein Gehalt nicht beklagen.
Aber Autos hast Du bestimmt schonmal angezündet, oder?
Natürlich nicht. Ich bin doch nicht bescheuert. Was sollte Autos anzünden denn für einen Sinn haben?
Das ist genau so dumm, wie aus Spaß Mülleimer anzuzünden.
Wo ist denn der Sinn in Fähnchen abreißen? Wie Du sagtest, für viele ist das wahrscheinlich nur ein Logo wie das des BVBs oder von Schalke. Oder sind das alles verkappte Nationalisten?
Es entsteht durch die Fahnen eine rassistische Grundstimmung. Eine Deutschlandfahne steht für viel mehr als nur für Fussball.
Das dürfte aber gar nicht die Absicht der meisten Fans sein. Die haben Spaß am Sport und an einer favorisierten Mannschaft.
Dann nehmt das DFB Logo, oder macht euch Gedanken darüber, welche Bedeutung das, was ihr rumwedelt, hat.
Es gehen ja gerade diese Flyer im Netz rum, ersetzt Du das Fähnchen mit den Flyern?
Nein.
Läufst Du da nicht gefahr, dass das als bloßer Vandalismus wahr genommen wird? Also wie eine abgebrochene Antenne oder ein entwendeter Scheibenwischer?
Entwendete Scheibenwischer gefährden die verkehrssicherheit eines Autos. Es geht nicht darum, diese zu beschädigen. Ich glaube, die meisten Besitzer werden das nicht als Vandalismus wahrnehmen. Die wissen schon sehr genau, warum das passiert ist.
Mhm, woher kommt diese Überzeugung?
Linkes Wohnviertel.
Aha, Du bist also so ein autonomer Hausbesetzer?
Nein. Ich lebe ein Leben im bürgerlichen Mittelstand. Ich bin keiner dieser Chaostouristen, die zu Anti-Nazi demos geht um sich mit Bullen zu prügeln. Mich findet man in den Sitzblockaden.
Aber warum schämst Du Dich dann für Deutschland, wo es Dir hier doch so gut geht?
Nur weil es mir gut geht, heißt es nicht, dass es allen gut geht. Ich kann doch nicht die Augen davor verschließen.
Also möchtest Du gar nicht raus aus Deutschland?
Mir ist es egal wo es mich hinverschlägt. “Deutschland” ist nur ein festgelegter Begriff auf einer Landkarte. No Borders. No Nations!
Du verleugnest Deine Herkunft!
Schwachsinn. Ich bin bewusst Mensch. Es steht nur eben aus Zufall “Staatsangehörigkeit: Deutsch” in meinem Ausweis.
Magda – “Ja, ich zahle auch Steuern.”
Hi Magda, Du knickst also auch Fähnchen?
Ja, ich knicke Fähnchen, aber wenig, eher bei Gelegenheit in einer Bierlaune. Und nicht geplant und mit irgendwelchen Spielchen oder so. Ich habe dazu zwar eine Meinung, aber ich glaube, ich bin nicht “was” du suchst.
Was ist denn Deine Meinung dazu?
Puh. Ich habe kein Problem mit Fußball – gar nicht. Aber mit Nationalflaggen, Nationen, Rassismus und Grenzen. Gäbe es eine Flagge, die für die deutsche Elf stehen würde – kein Ding. Aber Deutschland abfeiern geht halt nicht. Genug Missstände. “Wer nicht springt ist kein Deutscher” provoziert und bietet leider gewissen Gesinnungen eine Plattform. da sind die grenzen dann fließen. “ich bin ja kein Rassist,aber…” und genau damit ist man verdammt nochmal ein unscheinbarer Alltagsrassist.
Denkst Du nicht, dass die Flagge nicht eher als Logo dient? Also wie bei BVB oder Schalke? Die meisten die damit rumfahren sind doch keine Nationalisten, oder?
Richtig. Sind sie nicht. Auf keinen Fall. Aber sie bieten den Leuten damit eine Plattform und merken es nicht. und ich denke halt, dass man mit einer solchen Flagge nicht so unreflektiert umgehen sollte. Es geht ja nicht darum, die Leute als Nationalisten abzustempeln. das ist Quark. ganz ehrlich: das meiste Fahnengeknicke ist doch nur proletenhaftes rumgenerve und irgendwie rumrandalieren – aber es gibt auch eine reflektierte Kritik dahinter, die ich verstehe und vertrete.
Wie weit ist der Weg von der geringfügigen Sachbeschädigung einer umgeknickten Flagge bis zum, sagen wir mal angezündeten Auto?
Sehr weit. Ich käme niemals auf die Idee ein Auto anzuzünden, eine Mülltonne oder gar Menschen anzugreifen. Da mag es Ausnahmen geben. Aber vergleichbar ist das nicht.
Aber immerhin bist Du wahrscheinlich jemand der auf Kosten unseres Staates lebt! Ein Sozialschmarotzer?
Klar. Wie alle, die irgendwie linksradikale Ansichten vertreten. Ich habe eine gute Schulbildung, eine abgeschlossene Ausbildung und bin seit geraumer Zeit selbstständig. Durchschnittlich eine 60 Stunden Woche. Und ja, ich zahle auch Steuern.
Das ist das gemeine an Vorurteilen. Klar, gibt es, wie in jedem politischen Lager Arbeitslose – aber: gerade auch im Linksradikalen Raum gibt es clevere, gebildete Menschen, die eine reflektierte Meinung vertreten. Und diesen Leuten geht es nicht um stumpfen Vandalismus.
Wo es gerade fiel. Bist Du denn “linksradikal”? Der Radikalismusbegriff ist ja durchaus kritisch zu berachten.
Puh. Vielleicht. In gewisser Hinsicht. Ich glaube, dass es ohne eine gewisse Militanz nicht möglich ist, gesellschaftliche Missstände zu beseitigen. Revolutionen waren auch nie friedlich. Trotzdem gilt es da vorsichtig zu sein und zu jeder Zeit daran zu denken, dass Gewalt kein pauschales Mittel sein sollte und ist. Und: fremdes Eigentum mit Vorsatz ohne wirklich ersichtlichen Grund zu beschädigen oder gar Menschen anzugreifen, ist ein NoGo.
Wo ist der Unterschied da zwischen Fähnchen und dem anderen Eigentum?
Schlicht und ergreifend in Geld, Wert und Notwendigkeit.
Vincent – “Durch das Abbrechen einer Fahne wird ein Symbol gesetzt, das in der Lage ist, einen Diskurs anzustoßen.”
Vincent, es ist EM in Deutschland und Du reißt Fähnchen von den Autos?
Technisch gesprochen knickt man sie vor allem ab, aber ja. Ich bin mit dem Gemeinwesen hier nicht zufrieden und die Symbole dessen stören mich deswegen.
Ist es also eine antideutsche Einstellung oder allgemein eine Antinationalistische?
Ich würde meine Kritik des Nationalismus auf jede Nation übertragen, nicht nur auf die Deutsche, auch wenn der Hauptfeind im eigenen Land steht, um Liebknecht zu bemühen.
Manche würden sagen, dass Du doch das Land verlassen solltest, wenn es Dir hier nicht gefällt. Was hindert Dich daran?
Vor allem, weil die Einrichtung der Welt global ist, und es deswegen anderswo auch nicht angenehmer ist. Außerdem glaube ich, dass durch Menschen errichtete Gesellschaften auch durch diese wieder gestürzt oder wenigstens verändert werden können. Deswegen erachte ich es als produktiver hier Kritik zu üben, als zu anderen Orten zu fliehen, an denen man dann ja doch wieder unzufrieden wäre.
Denkst Du nicht, dass die meisten die Du damit triffst einfach nur Freude am Sport haben? Sich der nationalistischen Aussage gar nicht bewusst sind oder im Zweifelsfalle gar keine Nationalisten sind? Sondern die Fahne ein “Logo” für sie ist wie das des BVB oder von Schalke?
Ja, die Gefahr besteht sicherlich. Dagegen möchte ich aber einwenden, dass eine Nationalflagge nicht das Symbol des DFB ist, sondern einer Nation, die für allerhand Elend auf der Welt, von den Ertrunkenen im Mittelmeer bis zu den Obdachlosen in U-Bahn-Stationen, zu einem Teil oder ganz zu verantworten ist. Ich habe nichts gegen Fußball als Sport, allerdings wird die Ebene reinen Sports ja verlassen, durch Schwenken der Fahne oder Singen der Nationalhymne. Es lässt sich also nicht aus einer Begeisterung für das Spiel, tolle Pässe oder spektakuläre Tore, direkt auf einen Nationalismus schließen, aber durch Aufhängen der Fahne lässt sich auch nicht eins zu eins auf Fußball schließen.
Meinst Du diese Botschaft kommt bei denen an, deren Flagge Du abreißt? Es gibt ja gerade diverse Flyer im Netz, hängst Du die als Erklärung an den Stummelmast?
Nein. Allerdings glaube ich, dass durch das Abbrechen einer Fahne ein Symbol gesetzt wird, ähnlich wie bei einer Demo oder dem Demolieren eines Bundeswehrfahrzeugs – nicht, dass ich das tun würde -, das in der Lage ist, einen Diskurs anzustoßen. Viele der Flugblätter verbleiben leider auf dem Niveau von »Ahahaha, wir haben Dir deine Fahne geklaut«, das ist zu wenig. Ich glaube, dass die politische Aufklärung eher im Freundeskreis, im Alltag geschehen muss, weil da oft ein besserer Rahmen für Diskussion gegeben ist. Jemand, der seine Fahne gerade verloren hat, wird den Zettel vermutlich einfach auf den Bürger_innensteig werfen und sich für 1,99€ eine neue kaufen.
Im Zweifel bin ich auch gegen die Symbolpolitik, und würde eine inhaltliche Auseinandersetzung begrüßen — wo leider auch von Seiten der Linken oft Defizite bestehen.
Das heißt Du zündest keine Autos an? Die Bild schrieb ja sinngemäß “Rohrbomben, Autos anzünden, Häuser besetzen – jetzt klauen sie auch noch unsere Fähnchen”.
Nein, ich zünde keine Autos an und finde es auch politisch nicht sinnvoll. Nur, weil jemand sich ein teures Auto leisten kann, heißt das ja nicht, dass er rechter bzw. konservativer wäre, als jemand, der einen kleinen Fiat fährt. Da wird ein Automatismus vermutet, den ich falsch oder sogar gefährlich finde. Desweiteren ist ein Gutteil der angezündeten Autos ja offensichtlich keine Tat von Linken gewesen.
Ich finde, dass Häuser besetzen oder das Abbrechen kleiner Fahnen anders zu beurteilen sind als Brandanschläge.
Da bist Du der Masse nach zu urteilen aber alleine mit. Wie ist es denn mit Arbeit? Du liegst dem Staat den Du so doof findest doch bestimmt auf der Tasche, oder?
Nein, ich zahle Steuern, aber selbst wenn nicht. Das Scheitern in der kapitalistischen Konkurrenz und damit verbunden die Annahme von staatlichen Leistungen um zu überleben, würde ich nicht als verwerflich betrachten. Man darf ja nie vergessen, dass man hier einem gesellschaftlichen Zwang unterliegt und es nur eine Sache gibt, die schlimmer ist, als für den Gewinn weniger anderer ausgebeutet zu werden: Nicht ausgebeutet zu werden. In weiten Teilen der Welt bedeutet das einfach zu krepieren, hier hat man das »Glück« mit ein wenig Geld noch als Reservearmee gehalten zu werden.