Er steigt in die Tram, ist circa 17 Jahre alt, trägt einen total verschnittenen Igel auf dem Kopf, den man auch mit Gel nicht kaschieren könnte. Vielleicht versucht er es deshalb erst gar nicht. Außerdem hat er eine Brille im Gesicht, die ihn alles andere als Kleiden würde. Er hat diesen nervösen, wieselartigen Blick, wenn er sich unruhig in der Bahn nach einem Platz umsieht. Ich sehe nicht weiter zu ihm, ich habe das Gefühl, er könnte auch mich unruhig werden lassen.
Auf einmal steht er direkt neben mir. Er will sich setzen, was ich erst nicht bemerke, weil ich sehr konzentriert auf mein Handy sehe. Er fragt jedoch nicht, ob ich meinen Rucksack von dem Platz nehmen könnte, den er sich zum Sitzen auserkoren hat. Stattdessen macht er Anstalten, sich auf meinen Rucksack zu setzen, woraufhin ich ihn auch bemerke. Sein fragenden Blick deutet mir ein „Kann ich mich setzen?“ an, worauf ich ihm sage: Kein Problem und den Platz räume, so das er sich setzen kann. Dabei presst er seine Oberschenkel dicht aneinander, so wie das Menschen tun, die so schüchtern sind, dass sie fast schon ängstlich wirken. Im Gegenlicht der Bahnlampen kann ich, wenn ich ihn im Profil ansehe, erkennen, das ihm im Gesicht so ein zarten Pflaum zu wachsen beginnt, den man locker mit dem Handtuch abschlagen könnte, um sich das Rasieren zu sparen. Das lohnt sich noch nicht. Die leichte Akne und die fettige Haut lassen erkennen, dass er es da draußen nicht so einfach hat. Er ist nicht mit Schönheit gesegnet und sehr nervös, als er das Buch aufklappt, was er schon beim Einsteigen in der Hand hatte. Da wir schon kurz vor der Endhaltestelle sind, muss es für ihn um äußerst wichtige Dinge gehen, die er in den 3 Minuten Fahrweg noch erlesen möchte. Ich achte darauf, was er am Leib trägt, (das tue ich immer – muss so eine Macke sein), erkenne ich eine abgewetzte Velourjacke im Harrington-Stil, eine Hose, die eine Mischung aus einer Outdoor-Klamotte und einer Jogginghose sein muss mit Reflektoren an den Seiten und furchtbar unförmige Halbschuh. Ich denke mir da nichts weiter bei, soll jeder so, wie er mag… Irgendwie aber schweift mein Blick über die Seiten seines Buches und ich glaube die Abbildungen von Molotow-Cocktails zu erkennen: Holla! Beim genaueren Hinsehen stelle ich fest, das es solche nicht sind, sondern eine illsutrierte Darstellung davon, wie man am besten Bierflaschen mit den Zähnen öffnen kann: Na aber holla! Das interiessiert mich dann doch genauer. Was liest der Junge da? Als er umblättert, werden Cowboys zum Thema seiner Lektüre, Autos auch und die beste Möglichkeit Rost von denen zu entfernen. Noch eine Seite weiter geht es um kuhle Körperhaltungen von Männern und um die rechte Dosierung von Haargel. Harter Stoff, denke ich und versuche den Buchtitel zu erkennen. Als er kurz vorm Aussteigen den Buchdeckel zuklappt, kann ich es sehen: er liest: „Männer unter sich“.
Als er dann förmlich durch das Dunkel in die Nacht entflieht, denke ich: So wird das doch aber nichts mit den Frauen, junger Mann! Er kann mich nicht hören.
Die ÖPNV Storys sind immer sehr unterhaltsam.