Bevor wir bald unsere eigenen Wachsfiguren bei Madame T einweihen dürfen, schaufeln wir ewigen Teenager uns mit „fast 50“ lieber unser eigenes Grab. Richtig gelesen: Gruppe Fettes Brot is nicht nur ancient … sondern HISTORY! Papa und Papa und Papa trennen sich. Ende ’23 packen wir unsere Turnbeutel und wandern ab da auf neuen Wegen.
Fettes Brot? Ja. Nein. Jein. Es war irgendwann Mitte der 1990er als die Brote ihren Weg in meinen Gehörgang fanden. Ich hatte mich kurz vorher musikalisch vom damaligen deutschen HipHop verabschiedet und sehr viel lieber Techno gehört. Vorher kannte ich die Drei aus Hamburg nicht.
„Es war 1996“, und ich hoffe ihr habt instant den kompletten Text dazu im Kopf, als „Jein“ mit dem Album „Außen Top Hits, innen Geschmack“ erschien und einfach jeder es sang. HipHop war das gemessen an dem, was für mich bis dahin deutscher HipHop war mit Nichten, gute Popmusik war es allemal. Und so lief das Album auf allen Baustellen, auf den ich damals schaffen ging. Und das waren so einige. Die Leute liebten die Brote. Ich hatte gar nicht soviel für sie übrig. Und auf meinem Radar fanden sie eigentlich auch gar nicht mehr so richtig statt. Bis zum Fusion Festival 2004.
Es war eine der Fusions, die damals gefühlt und explosionsartig 20.000 Menschen anreisen ließen und so unfassbar voll waren, dass man als Gast kaum noch Bock hatte, sich dort von denen übers Gelände schieben zu lassen. Es war, wenn ich mich recht erinnere, das erste Jahr in dem auf dem Festival kein Public Viewing für internationale Fußball-Turniere mehr gezeigt wurde, was vorher eigentlich schon so war und auch organisiert wurde. Ab 2004 sollte das anders sein und zumindest „Public“ war nicht mehr. Hat mich damals nicht gestört. Wer gucken wollte, konnte das per Satellit an seinem Camper machen, wer nicht, ging eben tanzen. Cool.
Im Line Up standen nach den Beginnern Fettes Brot auf der Hangar-Bühne, der damaligen Mainstage, und ich dachte, könnte man sich ja beides mal geben. Die Beginner begannen ihren Gig, Jan Delay im Deutschlandtrikot, was damals dort und zu Recht ziemlich verpönt war. Wenn ich mich recht erinnere, wurde im Guide damals auch darum gebeten, auf derartige Fan-Utensilien auf dem Gelände zu verzichten. Jan Delay war das egal, er wollte wohl auf Punk machen, und performte in dem zu der zeitgleich stattfindenden EM in grünem Nationaltrikot. Kam nicht ganz so geil an, auch bei mir nicht. Es wirkte aufgesetzt, bisschen peinlich – und die Beginner ziemlich lost vor den Massen. Am Ende war die Stimmung so mau, dass Jan Delay auf der Bühne rummaulte, dass jene, die seinen Sound nicht fühlen oder verstehen konnten, doch lieber ein paar Pillen einwerfen und zu einer der Techno-Bühnen gehen sollten. Ein für einen vor der Bühne Stehendem sehr peinlicher Moment für einen auf der Bühne Stehendem. Sehr unangenehm. Und Jan machte das offenbar daran fest, dass er auf einem Techno-Festival seinen HipHop spielen wollte, den diese Technoheads gar nicht verstehen konnten oder wollten oder was auch immer. Für ihn lag es offenbar an dem gegebenen Rahmen, nicht an seiner mauen Performance. Zwei Stunden später spielten an selber Stelle die Brote und brannten einfach alles nieder.
5000 Leute vor der Bühne, die einfach jedes Wort mitbrüllten. Auf einem Techno-Festival, was die Fusion ja eigentlich nie sein wollte und nie war, riss Fettes Brot einfach alles ab, was es dort abzureißen gab. Ohne Deutschland-Trikot und so unfassbar sympatisch, das mir dazu Vergleichbares gerade gar nicht einfallen will. Dieser Abend vor der Bühne der Brote hat es in meine Top 10 der besten Konzerte ever geschafft. Und dabei hatte ich es mit denen zu dieser Zeit gar nicht mehr. Das war ganz, ganz groß. Zudem ließen die Brote damals komplett ihre Gage für den Kulturkosmos e.V. dort, die damit Kohle in ihre Jugendkulturprojekte droppen konnten. Extra groß.
Musikalisch hat mich Fettes Brot seitdem nicht mehr sonderlich interessiert, aber sie blieben mir in verdammt guter Erinnerung. Und dann sangen sie irgendwann, nachdem Fußball ein Ding für mich wurde, zusammen mit Niels Frevert diese Ode an Ewald Lienen, die ich bis heute liebe und die ich immer dann im Kopf habe, wenn Babelsberg mal wieder ein Viertligaspiel verliert oder gar am Ende der Saison um den Klassenerhalt bibbert. Mir reicht, wenn wir auf Platz 15 stehen. Wenn’s mehr wär‘, könnt ich eh nicht mit umgehen.
Fettes Brot macht nach 30 Jahren Bandgeschichte den Sack zu. Okay. Danke für die wenigen aber intensiven Momente in den drei Dekaden. Im nächsten Jahr wird es eine Abschiedstour geben und ich glaube ich kenne da jemanden, der sich dafür ein Ticket holen wird. Ja? Nein? Jein? Auf jeden Fall!
[Update:] Die starten ihre Abschiedstournee also ausgerechnet in Rostock (Haha! Geiler Move!) und haben bisher im Tourplan keinen Termin für Hamburg? Wo und wann will man die denn bitte schön dann wenn nicht in Hamburch sehen, was der Tourplan bisher ja gar nicht drin hat. Da feiern die dann doch mindestens eine Woche komplett durch!
[Update:2]
Ach Ronny, mit Deinen persönlichen Erinnerungen machst Du aus einer Meldung, die mich sonst überhaupt nicht gejuckt hätte, plötzlich etwas, was mir direkt ins Herz geht. Ich fühle mich, als hätte ich damals mit Dir in der Menge gefeiert.
Besser kann der Tag kaum werden. Danke!
So gut.. https://www.youtube.com/watch?v=8PuK_Lco7i0&ab_channel=FettesBrot
Btw.. „Es IST 1996°..
Das was Kolt sagt.
Ich sage Danke für auf einem Auge blöd. Hab ich mit 16 total gefeiert, auch wenn da auch bei mir, bereits die Technozeit losgegangen ist.
Es war aber auch noch die Zeit wo Musik auch immer irgendwie Bekenntnis zu einer Subkultur war und das von vielen sehr streng gesehen wurde. Aber es gab schon immer viel zu viel gute Musik aus allen Genres, so dass das für mich bereits in jungen Jahren infantiler quatsch war. Auch wenn ich die Musik der Brote der letzten Jahrzehnte dann eher nicht mehr gefeiert hab, ist das jetzt irgendwie trotzdem das Ende einer Ära. Es schwingt ein bisschenMelancholie mit.
Was Markus303 sagt.