(Foto: Tilman Piesk)
In dem damals schon alten Neubau, in dem ich als Kind aufwuchs, gab es vier Aufgänge mit je 8 Wohnungen. In jedem der Aufgänge gab es meistens nur eine Mietwohnung, die über einen Telefon-Anschluss verfügte. Bei uns im Aufgang waren es zwei mit Telefonanschlüssen. Über uns das alte Pärchen, das ständig durch die Welt reiste. Russland, Bulgarien, Jugoslawien, Ungarn sogar in die Mongolei fuhren die hin und wieder. Sie bauten damals seit einer gefühlten Ewigkeit an einem Haus im Grenzgebiet, in das sie irgendwann mal ziehen wollten. Sie war Klavierspielerin und schmierte mir immer ein Brot mit Bierschinken, wenn ich mal wieder meinen Schlüssel vergas, was ziemlich häufig vorkam. In dem Fall brauchte man bei unseren „Sicherheitsschlössern“ eigentlich nur einen Schraubendreher und eine Zange, so denn nicht abgeschlossen wurde. Beides borgte ich mir in diesen Fällen bei ihr. Dann schraubte man Knauf und Blende ab und drehte mit der Zange am Vierkantstift. Im besten Fall brauchte man dann keinen Schlüssel, die Tür war offen. Wenn abgeschlossen war, ging das nicht. Sicher wusste man das aber erst, wenn man es ausprobiert hatte. Das Werkzeug borgte ich mir immer bei ihr. Ihr Mann war selten zu Hause und ohnehin etwas eigen, auch wenn er sich immer nett gab.
Wenn doch mal wieder abgeschlossen war, brachte ich ihr das Werkzeug wieder hoch, setzte mich in ihr Klavierzimmer, das direkt über meinem Kinderzimmer lag, ass meine Bierschinkenstulle und hörte ihr beim Klavierspielen zu, bis irgendwer mit Schlüssel nach Hause kam.
Den zweiten Telefonanschluss hatte Familie S., 1. Stock rechts. Nicht sonderlich gesprächig und der Inbegriff des unangenehmen Nachbarn, der gerne auch mal die Kinder vollnöhlte, wenn sie über dem Rasen unter seinem Haselnussstrauch liefen, was wir allein deshalb natürlich ganz besonders gerne taten. Klar.
Herr S. jedenfalls hatte nicht nur einen Telefonanschluss, er führte bei uns im Aufgang auch das Hausbuch, von dem es eins für jeden Aufgang gab. Meistens wurden diese Dinger von den Leuten in den Aufgängen geführt, die nicht besonders cool rüberkamen. Einige von denen hatten offensichtlich Freude daran, Buch über die Vorkommnisse in ihrer nächsten Nachbarschaft zu führen. Man sagte manchen nach, das auch haupt- oder nebenberuflich zu tätigen, was sich freilich nicht beweisen, aber auch nicht ausschließen ließ. Meistens mied man diese Leute.
Fiel mir gerade so ein, als ich das Exemplar eines geführten Hausbuchs sah. Was Herr S. wohl heute so macht? Wahrscheinlich ist er schon länger nicht mehr am Leben.
Besucher aus der DDR, die länger als drei Tage blieben, mussten sich beim Hausbuchbeauftragten melden und wurden ins Hausbuch eingetragen. Besucher aus dem Ausland mussten innerhalb von 24 Stunden eingetragen werden.
Beim besuchsweisen Aufenthalt war neben dem Namen der Person das Geburtsdatum, die Staatsbürgerschaft, die zurzeit ausgeübte Tätigkeit, die Anschrift der Hauptwohnung, der Name des Besuchten, der Zeitraum des Besuchs sowie die eventuelle An- und Abmeldung bei der Volkspolizei (DVP) einzutragen. Besucher aus dem Ausland mussten zusätzlich das Datum des Grenzübertrittes eintragen lassen. Die Meldung bei der Volkspolizei musste von Nicht-DDR-Bürgern innerhalb von 24 Stunden erfolgen. DDR-Bürger mussten sich bei der DVP melden, wenn der Besuchszeitraum 30 Tage überschritt.
Der Volkspolizei, den freiwilligen Helfern der DVP oder den Mitarbeitern der Staatssicherheit war das Hausbuch auf Verlangen vorzulegen.
Die Hausvertrauensleute wurden aber gewählt oder? Wahrscheinlich ist es dann trotzdem meistens dieser klassische Typ, der sich auf den Posten beworben hat ^^
Oder sie wurden einfach bestimmt…bei Neubauten war es die Familie die als erstes einzog.
Verrückt, da sind so einige Sache total an mir vorbeigelaufen, hab damals nie von nem Hausbuch gehört. Dann wäre ich wahrscheinlich auf den ganzen heutigen Kontrollzwang von Ämtern, Krankenkassen, GEZ, etc. besser vorbereitet gewesen :)
Ach, so hab ich als Kind auch immer die Tür aufgemacht… Zange und Schraubendreher hatten wohl alle Nachbarn parat.
Ans Hausbuch erinner ick mich nur schwach.
Wir haben im 11-Geschosser mit sechs Aufgängen janz oben, mitn Blick aufn Westen jewohnt.
Da jabs wahrscheinlich pro Aufgang min ein Buch und Freitags Aufgangssitzuung mit blauem Würger.
Zwei Etagen unter uns wohnte nen weißhaariger Stasi- oder NVA-Offizier der meinen Vater des öfteren beim ABV antreten lies, seines Nachwuchses wegen.
Ick hatte unter anderen eenmal seine Harzer jefunden, die er immer aufhob, weil sie nach einjähriger Trocknung wohl lauter knallten.
Sie taten es.
Vor seinem Fenster.
Der Opi hat aber bestimmt mehr als nurn Hausbuch jeführt.
Wenn ick damals den Schlüssel vergaß oder auch nur den Müll zum Müllschlucker brachte, genügte immer ein beherzter Tritt rechts unten gegen die Tür und sie sprang auf.
Ja, das mit dem Türöffnen kann ich so bestätigen. Wie oft habe ich das gemacht. :-D