Es ist 1992. Ich bin ein letztes Jahr Schüler in der krassesten Gesamtschule, die Teltow in der Konstellation bis heute gesehen hat und arbeite nebenbei in dem Scheiss-Kaff, das ich bis heute hasse, in einem Billard-Cafe, das am Wochenende auch eine Disko war, in die zurückerinnert 800 bis 1200 Leute reinpassten, die an den Wochenenden auch kamen. „Wir hatten sonst ja nüscht!“
Es gab damals 10 Mark die Stunde. Marusha war später da. Westbam auch, wenn ich mich recht erinnerte. Als sich diese ganze Berlin-Techno-Kiste auf’m Dorf verramschte und ich nach dortigem Feierabend nach Berlin machte; E-Werk, das alte Matrix, Tresor, diesdas, um später auch kurz dahin zu ziehen. Ich räumte bis da Gläser weg, betreute die Garderobe, stand am Grill, sortierte draußen die Parkplätze und zog Westberliner beim Billard ab, bis mich einer von denen dann mal abzog. Das Ding war damals halt Tom Cruise; doppelt oder nichts. Und ich verlor da als Schüler an einem Abend einfach mal eben 800 Mark. Peter, du Arschloch! Ich fasste danach 10 Jahre lang keinen Queue mehr an, kann es aber immer noch ganz schön gut. Also jetzt wieder. Aber darum soll es gerade nicht gehen. Es war eine Zeit zwischen Chaos und Anarchie. Bei den Linken im Guten, bei den Faschos im Schlechten. Also für uns Linke – und davon gab es dort damals so viele nicht.
Also liefen wir (ich und meine heutige Frau) häufig um unser Leben. BFC-Hools aus Potsdam bestimmten die Nächte an den Wochenenden in PM, wollten Schutzgeld, und „Matches“, die ich Trottel damals auf’s Billard verortet hatte, was die aber nicht meinten, wenn sie um ein Match baten. Die wollten sich gegenseitig auf die Fresse hauen, wo ich nur rauskam, weil ich damals einen Cousin hatte, der in deren Dunstkreis eine nicht unwichtige Rolle trug. Am Ende haben uns nicht mal die Cops retten wollen, weil selbst die Angst vor diesen Arschlöchern hatten und lieber vorbeifuhren. Später sind die fast alle im Knast
gelandet. Außer der eine, der mir damals ein „Match“ angeboten hatte und später der Lover der damals besten Freundin meiner Frau wurde. Wild.
Ich hab damals KGB-Pistolen gesehen, die die Form eines Füllers hatten, und dem Träger dessen dabei zusehen müssen, wie sein Schädel durch einen Baseballschläger gebrochen wurde, nachdem er sich als
Security-Tüpi von dem Laden hatte kaufen lassen. Das Geräusch werde ich wirklich nie vergessen.
Ich bin ein Kind der Wende und keiner hat mich damals gefragt, ob ich das sein will. Es war halt so. Am Ende bin ich nur gut da durchgekommen, weil auch ich mal die Arme in die Hände genommen habe, aber auch die Fäuste schwingen musste, wenn es gegen Nazis ging. Und ich glaube, im Westen hat man kaum eine Ahnung davon, wie das damals im Osten war. Anarchie auf allen Seiten und keine/r wusste, was genau Anarchie bedeuten sollte. Aber wir hatten sie. Kurz auf allen Seiten.
Vielleicht schreib ich irgendwann wirklich mal ein Buch. Ihr wisst so vieles nicht von dem, was damals für uns Zecken im Osten Alltag war.
Jedenfalls gerade in der ARD-Mediathek im Stream: Generation Crash – Wir Ost-Millennials. (Teil 2). Bin ich halt Teil davon. Und da gibt es Vieles zu erzählen.
Wie war das Erwachsenwerden in Ostdeutschland in den Neunziger- und Nullerjahren? Mehrere Zeitgenossen erzählen ihre persönliche Geschichte zwischen rechter Gewalt aber auch neuen Freiräumen.
(via Anne)