Er wartet an der Haltestelle auf sie und wird sie in Empfang nehmen um sie zu küssen wenn sie die 15 Minuten Busfahrt hinter sich hat, so wie jeden Tag. Sie ist klein, aber nicht schmächtig, eher das Gegenteil davon, aber sie gibt sich Mühe, das zu kaschieren, was ihr meistens gut gelingt. Er ist groß, blond, kurzhaarig und noch keine Achtzehn, auch wenn er es gerne schon wäre. Sie ist nicht viel älter. Heute war sie offenbar einen Einkauf erledigen, sie trägt schwere, großen Tüten.
Als sie heute aussteigt, reagiert er, anders als sonst, nicht sofort, sondern wendet sich seinem Handy zu. Sie muss ihm erst mit ihrem Ellenbogen in die Seite buffen, bevor er auf sie reagiert und sie begrüßt. Er trägt nicht ohne Stolz ein quietschgelbes Torwarttrikot auf dem über der 1 „ESV Lok Seddin“ steht, einer Kreisliga Mannschaft, wie es sie viele gibt. Eine, die den Kids und jungen Männern das Gefühl gibt, etwas Wichtiges, etwas Gemeindepatriotisches zu tun, etwas, worauf auch die Eltern und die Großeltern stolz sein können, wenn sie die Mannschaften am Sonntag auf dem Rasenplätzen der Gemeinden um die Kreisliga-Punkte kämpfen sehen. Und klatschen können sie auch. Das ist wichtig, glaube ich. Wichtig für die jungen Spieler, wichtiger noch ist es für sie.
Er kommt sie heute mit einem roten Damenfahrrad abholen, dass vor 1990 gebaut worden sein muss. Herkunftsgeographisch erkennt man sofort einen VEB als Erbauer, daran ändert auch das lieblos drüber getünchte Rot nichts. Das Rad hat sowohl vorne als auch hinten einen dieser großen, ausufernden Körbe montiert. Wahrscheinlich gehört das Rad seiner Mutter, die damit sonst die Einkaufe einholt.
Endlich küsst er sie, sie lächeln. Beide. Dann traben sie los.
Als der Bus Minuten später wieder an ihnen vorbeifährt, schiebt er mit der rechten Hand das Fahrrad, die linke hat er in der Hosentasche, die Körbe sind leer. Die schweren, großen Tüten trägt dem Boden nahe sie.